Der Visionär des Industriezeitalters
Fällt der Name Jules Verne, denkt man sofort an technische Experimente und aufregende Abenteuer unter Wasser und in der Luft. Wie kein anderer prägte der am 8. Februar 1828 in Nantes geborene Schriftsteller das Genre des futuristischen Abenteuerromans. Vielen gilt er gar als Begründer der Science Fiction-Literatur. Dabei war er doch ein Kind seiner Zeit, griff lediglich technische Neuerungen auf und spann ihre Entwicklung ein Stückchen weiter. Seine „schwimmende Stadt“ etwa entstand nach einer Reise auf der „Great Eastern“, dem größten Dampfschiff seiner Zeit. Dennoch sind manche seiner literarischen Erfindungen fast schon als visionär einzustufen.
Ob gigantische Unterseeboote mit Lebensraum für zahllose Menschen, schwimmende Städte oder die Reise ins Weltall – heute, 185 Jahre nach seiner Geburt, gehören diese Dinge zur gesellschaftlichen Realität. Vor 150 Jahre hingegen weckten sie reges Interesse und bescherten ihrem Schöpfer großen Erfolg. Allerdings brauchte Verne einen langen Atem.
Eigentlich sollte der junge Jules Anwalt werden. Das hatte sein Vater für ihn beschlossen. Doch das Studium in Paris ließ ihn mit ganzem Herzen eintauchen in die Kulturszene. Alexandre Dumas, Vater wie Sohn, lernte er kennen und mit dem Komponisten Aristide Hignard verband ihn eine langjährige Freundschaft. Verne schrieb auch einige Libretti für seinen Freund. Ein paar Jahre konnte er sich als Sekretär und Librettist an einem Theater über Wasser halten, doch der große Durchbruch blieb ihm verwehrt. Erst durch seine Reisen erlangte Jules Verne schließlich tieferen Einblick in die wichtigsten Sujets seiner zukünftigen Karriere. Sein Roman „Fünf Wochen im Ballon“, eine abenteuerliche Luftreise über Afrika in einem technisch weitergedachten Ballon, fand schließlich einen Abnehmer, der den 35-Jährigen auf den richtigen Weg brachte, um fortan als Schriftsteller gut leben zu können. Der Verleger Pierre-Jules Hetzel hatte bereits große Namen verlegt, Balzac, Zola und Hugo, doch schwebte ihm eine neue Form der bildenden Jugendliteratur vor. Er wollte die Fähigkeiten der Schriftsteller mit den Sachkenntnissen von Wissenschaftlern verschmelzen. Das Ergebnis sollte anschließend anschaulich illustriert werden und so ein Genre der spannenden, und unterhaltsamen Bildungsliteratur begründen. Mit Jules Vernes Ballonreise-Roman gelang dem Verleger ein großer Publikumserfolg. Fortan animierte er seinen talentierten Autoren, in diesem Genre weiter zu arbeiten. Gleichzeitig half er, Kontakte zu führenden Wissenschaftlern der Zeit herzustellen. Und so transponierte Verne seine Reiseabenteuer in alle Varianten technischer Neuerungen. Manche wirken aus heutiger Sicht vielleicht etwas naiv, doch viele Ansätze entsprachen der Höhe der Zeit und sind heute daher umso wertvoller, wenn man sich ein Bild der Vergangenheit machen möchte.
Doch war Verne kein „Technik-Gläubiger“. Er verstand es zwar, die Faszination für die Industrialisierung zu wecken, verschloss aber nie die Augen vor den Folgen, die der Mensch durch derartige Veränderungen seines Lebensraumes zu tragen hätte. Seine Vision von „Paris im 20. Jahrhundert“ fiel derart düster aus, dass Verleger Hetzel ihm eindringlich von einer Veröffentlichung abriet. Das Publikum würde davon verschreckt und er fürchtete um den weiteren Erfolg ihrer Zusammenarbeit. Doch statt 20 Jahre später in den Druck zu gehen, wie Hetzel geraten hatte, geriet das Manuskript in Vergessenheit. Erst 1989 wurde der Romanentwurf zufällig im Nachlass von Vernes Sohn Michel gefunden. Die von Jules Verne erdachte Gesellschaft wird darin als technikbesessen beschrieben, die Menschen leben in Hochhäusern und fahren mit Automobilen durch die Straßen, doch haben sie den Sinn für Kunst und Kultur verloren.
Aber auch in seinen Erfolgsbüchern taucht immer wieder das Moment des Skeptizismus auf. Kapitän Nemo etwa lebt in seinem futuristischen Unterseeboot auf der Flucht vor der Menschheit, die er als absolut böse empfindet. Und die beiden Protagonisten seiner Mondreise von 1865 etwa, Kanonenbauer Barbicane und Panzerplattenproduzent Nicholl, diskutieren die Möglichkeit, einen neuen Krieg zu beginnen, um ihre Produkte weiterentwickeln zu können. Die riesenhafte Mondreisekanone zu bauen ist sicherlich das humanere Projekt. Dem heutige Leser kann nur schwindelig werden, wenn er sich ausmalt, welche gigantischen Projekte die Menschheit anstelle der beiden Weltkriege hätte umsetzen können. Von den derzeitigen, den zukünftigen und möglicherweise bereits geplanten ganz abgesehen. Denn natürlich wollen auch heute die Barbicanes und Nicholls Geld verdienen.
Das Werk, welches Jules Verne hinterlassen hat, bleibt in jedem Fall eine lohnenswerte Lektüre. Und wenn man sich nicht ausschließlich von den exotischen Kulissen ablenken lässt, kann man viel Wahres über den Menschen darin finden. Das macht einen großen Schriftsteller sicherlich noch mehr aus, als die Verkaufszahlen seiner Bücher. Verne hatte das Glück und das Talent, beides miteinender verbinden zu können.
Baltikum und Finnland (E 11)
ISBN: 978-3-95402-361-5
Preis: 52,00 €
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