Dichter und Naturforscher
Als die Familie de Chamissot im Jahr 1796 in Berlin eintraf, hatte sie ereignisreiche, erschütternde Jahre hinter sich. Da man im revolutionären Frankreich nicht mehr erwünscht gewesen war, hatte die Adelsfamilie vier Jahre zuvor das Familienanwesen Schloss Boncourt in der Champagne verlassen müssen. Die anschließende Flucht hatte über die Niederlande, Luxemburg und die Stationen Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth geführt. In Berlin konnte das zweitjüngste Familienmitglied, der 15-jährige Louis Charles Adélaide, nun das Französische Gymnasium besuchen. Seinem frühen Interesse an der Literatur ging der junge Mann auch noch nach, nachdem er 1798 in die preußische Armee eingetreten war. Kurz vor dem Ende seiner Militärzeit sollte er als Leutnant noch seinem Geburtsland gegenüberstehen, das der neuen, preußischen Heimat unter Napoleon Bonaparte empfindliche Niederlagen beibrachte.
Als er 1807 in das Zivilisten-Dasein eintrat, hatte Adelbert von Chamisso – diesen „eingedeutschten“ Namen hatte er sich mittlerweile gegeben – nicht nur Gedichte verfasst, Kontakte mit literarischen Kreisen Berlins unterhalten und sich als Herausgeber des „Berliner Musenalmanachs“ betätigt. Da er sich auch in das Studium der griechischen Sprache vertieft hatte, konnte er zwar nicht, wie zwischenzeitlich erhofft, als Professor an einem Lyzeum in der Bretagne, doch aber als Privatlehrer arbeiten. Nach wie vor verkehrte von Chamisso mit Schriftstellern und Wissenschaftlern. Im Lauf der Jahre kannte er u.a. August Wilhelm Schlegel, Ludwig Uhland, Achim von Arnim, Clemens Brentano, Alexander von Humboldt und E.T.A. Hoffmann. 1814 erschien von Chamissos bereits zu seinen Lebzeiten bekanntestes Werk, die märchenartige Erzählung „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“.
Neben die künstlerische Arbeit und sein literarisches Engagement trat allerdings zunehmend ein weiteres Interesse: die Naturforschung. 1812 hatte von Chamisso in Berlin bereits ein Studium der Medizin aufgenommen, das ihm Gelegenheit bot, sich mit Botanik, Zoologie und Mineralogie zu beschäftigen. Zwischen 1815 und 1818 beteiligte er sich dann an einer naturwissenschaftlichen Expedition, die ihn an Bord eines russischen Schiffs, der „Rurik“, buchstäblich um die ganze Welt führte.
Nach der Rückkehr 1819 machte man von Chamisso in Berlin zum Ehrendoktor. Er heiratete die 20 Jahre jüngere Antonie Piaste, mit der er sieben Kinder haben sollte. Nach 1819 sollte von Chamisso zudem fortwährend als Kurator im Schöneberger Botanischen Garten und am Königlichen Herbarium tätig sein.
Seine beruflichen Aktivitäten verliefen fortan zweigleisig: neben Arbeiten wie der aus dem Jahr 1827 stammenden Ballade „Die Sonne bringt es an den Tag“, sozialkritischen Gedichten wie „Der Bettler und sein Hund“ oder der Herausgabe des „Deutschen Musenalmanachs“ ab 1832 standen naturwissenschaftliche Exkursionen und dazugehörige Publikationen mit Titeln wie „Untersuchung eines Torfmoores bei Greifswald und ein Blick auf die Insel Rügen“ oder „Übersicht der nutzbarsten und der schädlichsten Gewächse, welche wild oder angebaut in Norddeutschland vorkommen“. Von Chamisso war sowohl Mitglied literarischer als auch wissenschaftlicher Zirkel. So gehörte er der „Neuen Mittwochsgesellschaft“ an, die sein Freund Julius Eduard Hitzig gegründet hatte, und 1835 nahm man ihn in die Berliner Akademie der Wissenschaften auf. Mehr in eins flossen die schriftstellerischen und naturwissenschaftlichen Interessen und Talente von Chamissos – wenngleich die dabei gewonnenen botanischen Erkenntnisse separat an anderer Stelle veröffentlicht wurden – bei dem früh-ethnologischen Reisebericht „Reise um die Welt“, den er über die Expedition der Jahre 1815 bis 1818 schrieb. Wie seine sprachwissenschaftliche Arbeit „Über die hawaiische Sprache“ wurde der Bericht 1836 veröffentlicht.
Adelbert von Chamisso starb vor 175 Jahren, am 21. August 1838, in Berlin. Die Stadt war ihm am ehesten Heimat, ein intellektuelles und soziales Zentrum seiner mehrspurigen Laufbahn als Dichter und Naturforscher gewesen. Das Leben hatte von Chamisso allerdings schon früh aus allzu eindeutigen Zugehörigkeiten heraus und in die Bewegtheit einer künstlerischen und wissenschaftlichen Suche geführt. Als französischer Flüchtling mit adeliger Herkunft war er in Jahren deutsch-französischer Konflikte in das preußische Berlin gekommen. Als Dichter hatte er sich die deutsche Sprache zu eigen gemacht und sich als Naturwissenschaftler in einer bürgerlichen Gesellschaft etabliert, die er, geschult durch die eigene, nicht nur eine Weltumsegelung umfassende Erfahrung des Fremden, auch immer wieder zur Offenheit und sozialen wie kulturellen Weitsicht ermahnte. Wie seine berühmte Figur Peter Schlemihl hatte von Chamisso die Härten eines uneindeutigen, heimat- und identitätsarmen Außenseiter-Daseins erlitten und sein Heil schließlich in einer Zukunft gesucht, die es erst zu entdecken gegolten hatte.
Leserbriefe
ISBN: 978-3-95402-267-0
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