Ein Buch mit sieben Siegeln
Was macht herausragende Musiker aus? Ein Kriterium mag ein unglaubliches künstlerisches Vokabular sein, wenn man viele Kompositionen im Kopf hat und musikalische Motive zuordnen kann. Es gibt auch Künstler, die es auf vielen Instrumenten zur Virtuosität bringen. Franz Schmidt hatte beide dieser Eigenschaften. Er wurde am 22. Dezember 1874 in Pressburg, dem heutigen Bratislava, geboren. Der junge Franz begann in seiner Heimatstadt Klavier zu studieren, siedelte 1888 nach Wien über und studierte fortan Komposition und Cello. Dieses Studium schloss er schließlich „mit Auszeichnung“ ab. Nach dem Studium spielte er bei den Wiener Philharmonikern und schließlich am Wiener Hofopernorchester. Er war in allen Positionen, die er innehatte gleichermaßen erfolgreich und ein gefeierter Künstler, ob als Dirigent oder Solomusiker, aber auch in der Begleitung für andere Künstler. Schließlich ging er 1914 zurück an die Wiener Musikakademie und unterrichtete Klavier, Cello und Komposition. Sein Einfluss als Musikpädagoge war groß. Zu seinen Schülern gehörten viele einflussreiche Musiker der nächsten Generation, unter anderem der Pianist Friedrich Wührer und der Komponist Rudolf Wimmer. Eine besondere Begabung, die seinen Schülern an der Musikakademie in Erinnerung geblieben war, ist sein musikalisches Gedächtnis. Er konnte sämtliche zu der Zeit bekannten Klavierkompositionen auswendig. Die Lehrtätigkeit übte er bis 1937 aus, als er sich aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzen ließ.
Franz Schmidt erhielt für sein künstlerisches Schaffen anlässlich seines 60. Geburtstages den Dr. phil ehrenhalber und den Franz-Josef-Orden. Dieser Orden wurde allerdings gegen Ende der Habsburgermonarchie inflationär ausgegeben und so zu einem Massenorden degradiert. Obwohl Franz im beruflichen Leben durchaus erfolgreich war, war sein Privatleben von dem einen oder anderen Schatten begleitet. Nachdem sein Liebesleben zunächst eher unerfüllt war, litt seine erste Ehefrau an starken psychischen Problemen, die schließlich stationär behandelt werden mussten. Eines seiner Kinder verstarb kurz nach der Geburt. Erst die Ehe mit einer deutlich jüngeren Musikstudentin verlief glücklich.
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In seinem letzten Lebensjahr erlebte er den Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Die deutschen Besatzer hofierten ihn und gaben ihm den Auftrag, ein Werk zur nationalen Wiederauferstehung Deutschlands zu schreiben. Diese Auftragsarbeit sorgt heute noch für Kontroversen um die Verstrickung Schmidts in den Nationalsozialismus. Das Werk vollendete er allerdings nie, stattdessen gab er einem anderen Auftraggeber den Vorzug: Als Komponist schrieb er Stücke für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, einen Bruder des bekannten Philosophen. Paul Wittgenstein galt als hoffnungsvolles Nachwuchstalent unter den Pianisten. Er wurde bei einem Sturmangriff im Ersten Weltkrieg am rechten Arm verletzt, sodass dieser schließlich amputiert werden musste. Schon während der Genesung beschloss er, seine Karriere auch mit nur einem Arm fortzusetzen und begann Klavierstücke für nur eine Hand bei bekannten Künstlern in Auftrag zu geben. Einer der Komponisten, die ihn belieferten, war Franz Schmidt. Schmidt starb am 11. Februar 1939. Drei Jahre nach seinem Tode wurde seine erste Ehefrau im Zuge des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten ermordet. Die Musik Schmidts gehört nach wie vor zu dem Standardrepertoire vieler Orchester. Sein berühmtestes Werk ist das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln.“
Osteuropa 2021/2022 (E15)
ISBN: 978-3-95402-365-3
Preis: 52,00 €
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