Aktion Mensch: Das Wir gewinnt
„Die Kamera schwenkte über Betten, zerstrampelte Decken, zerknüllte Kopfkissen, über Gesichter, große Augen, ungelenke Gestalten, ein schmales Fenster, rissige Wände. Das ist der Schlafsaal eines Heimes für behinderte Kinder. Hier stehen 18 Betten, eng nebeneinander, in drei langen Reihen. Für 18 meist spastisch gelähmte Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren. Das ist ihre Heimat. Ihr Kinderzimmer. Auf Millionen von Fernsehapparaten wurde es vorgestellt. Hat unsere Wohlstandsgesellschaft wirklich keinen besseren Platz für diese Kinder im Schatten des Lebens?“ Diese Frage stellte sich der Fernsehjournalist Hans Mohl im Jahr 1964 und gab sie auch seinen Zuschauern weiter. Mohl (1928 – 1998) war von Beginn an Moderator der Sendung Gesundheitsmagazin Praxis, die seit Januar 1964 im seit dem 1. April 1963 sendenden Zweiten Deutschen Fernsehen zu sehen war.
Dass Behinderte überhaupt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt waren, lag an der Contergan-Affäre: Ende der 50er-Jahre bis Anfang der 60er-Jahre wurde das den Arzneistoff Thalidomid enthaltende Beruhigungsmittel „Contergan“ gezielt als Beruhigungs- und Schlafmittel an Schwangere vertrieben. Es half gegen die verbreitete morgendliche Übelkeit bei Schwangeren, war rezeptfrei und wurde, da angeblich ohne Nebenwirkungen, gezielt an Schwangere empfohlen. Erst als sich Ende der 50er-Jahre die Geburten von missgebildeten Kindern häuften, kam man auf die Idee, dass Contergan die Ursache sein könne. Ende 1961 bestätigten Untersuchungen diesen Verdacht und der Hersteller nahm das Medikament nach einigem Zögern schließlich vom Markt. Bis dahin waren weltweit 5000 Neugeborene mit Missbildungen zur Welt gekommen, andere Quellen sprechen von weltweit 10 000 Geschädigten, die Anzahl der durch das Medikament verursachten Totgeburten ist unbekannt.
Durch die Contergan-Affäre wurde die Öffentlichkeit allerdings auf behinderte Menschen aufmerksam und durch zahlreiche Berichte für das Thema sensibilisiert. So auch Hans Mohl. Er entschloss sich zu helfen und kam auf die Idee einer Fernsehlotterie zugunsten behinderter Menschen: Die „Aktion Sorgenkind“ war geboren. Das Praktische daran: Der beliebte Moderator Peter Frankenfeld hatte bereits das Konzept für eine Show mit angeschlossener Lotterie zugunsten wohltätiger Projekte entwickelt und auch dem ZDF angeboten: „Vergißmeinnicht“. Hintergrund war die Einführung der neuen Postleitzahlen, deren praktische Umsetzung im Postalltag doch sehr zu wünschen übrig ließ: Die Bevölkerung vergaß in den meisten Fällen, die neue vierstellige Zahl bei der Adresse anzugeben. Also wurde eine Werbekampagne gestartet: „Vergißmeinnicht – die Postleitzahlen“.
Frankenfeld hatte nun folgende Idee: In seiner geplanten Sendung sollten Rätsel gelöst werden, indem man auf einer Postkarte Wohlfahrtsbriefmarken in einer bestimmten Reihenfolge aufklebte und diese dann, natürlich auch noch zusätzlich ordnungsgemäß frankiert, einsandte. Die Teilnahmegebühr wäre also so über den Kauf von Wohlfahrtsmarken errichtet worden. Seitens der Post bekam man angesichts einer Gewinnausschüttung allerdings kalte Füße und sah rechtliche Probleme entstehen. Da verfiel Frankenfeld auf die Idee, die Lotterieshow mit dem Werbekonzept für die neuen Postleitzahlen zu verbinden, wodurch die Gewinne über den Werbeetat de Post finanziert werden konnten. Und so war dann auch der Name für die neue Show gefunden: „Vergißmeinnicht“ …
Mehr lesen Sie in der Titelgeschichte von Udo Angerstein in der DBZ 7/2014, die Sie aktuell im Bahnhofsbuchhandel bekommen. Abonnementen haben das Heft natürlich schon im Haus.
Südosteuropa 2022 (E 8)
ISBN: 978-3-95402-388-2
Preis: 59,00 €
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