Der Mann mit den 1000 Gesichtern
„Ich wurde im Chaos geboren und versank darin für Jahre: Bis zum Alter von 14 hatte ich drei verschiedene Namen und lebte in ungefähr 30 verschiedenen Hotels“, berichtete der heute vor 100 Jahren geborene Alec Guinness über seine Kindheit und Jugend. Guinness wuchs mit seiner unverheirateten Mutter auf, wer sein Vater war, hat er nie erfahren, vermutete aber, dass es ein Bekannter seiner Mutter war, ein Banker, der ihn immer wieder finanziell unterstützte. Nach Abschluss der Schule arbeitete Guinness zunächst als Texter in einer Werbeagentur, nahm aber gleichzeitig Schauspielunterricht und konnte schließlich sogar ein Stipendium ergattern, das ihm sieben Monate Ausbildung an einer Schauspielschule ermöglichte. Mit 20 Jahren stand er erstmals auf der Bühne und konnte sich durch mehrere kleine Engagements bis ins Ensemble des renommierten Old Vic Theaters vorarbeiten, wo er schon bald an der Seite von Laurence Olivier und John Gielguld glänzen konnte.
1938 heiratete er seine Schauspielkollegin Merula Salaman und wurde 1940 Vater eines Sohnes. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterbrach die Schauspielkarriere, Guinness meldete sich als Freiwilliger für die Royal Navy, kommandierte einige Versorgungsschiffe und war schließlich der erste alliierte Soldat, der auf Sizilien landete – man hatte ihn nicht über die Verschiebung des Angriffszeitpunkts unterrichtet… Zurück in London überzeugte er bald in etlichen Hauptrollen und kam nun auch mit dem Filmgeschäft in Berührung: David Lean, der ihn in den „Großen Erwartungen“ von Charles Dickens gesehen hatte, besetzte ihn für die Verfilmung und schob flugs noch eine Verfilmung des „Oliver Twist“ hinterher. In der Großaufnahme der Kamera konnte nun seine eher subtile Art des Schauspiels voll zur Geltung kommen, denn, wie ein Kritiker schon 1939 bemerkte: „Er agiert auf eine heimliche, verstohlene Weise“. Deshalb wurde er auch als „Mann der 1000 Gesichter“ bezeichnet, nahezu unmöglich sei es, ihn wiederzuerkennen, „seine Genialität besteht darin, das eigene Gesicht, letztlich das eigene Ich auszulöschen“, schrieb der Journalist Reginald Hill in einem Porträt. Diese Fähigkeit trieb er 1949 fast auf die Spitze, als er in „Adel verpflichtet“ die acht Mitglieder einer Familie verkörperte. Angeboten hatten sie ihm vier Rollen, worauf Guinness antwortete: „Wieso vier Rollen? Wieso nicht acht?“
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Guinness war nun zum wichtigsten Komödianten des britischen Kinos avanciert, drehte mit Grace Kelly in Hollywood und wurde schließlich in David Leans „Die Brücke am Kwai“ besetzt, womit er „die Filmkunst um das vernichtendste Portrait eines Militaristen bereichert, das wir jemals zu sehen bekamen“ (The New York Times). Guinness bekam für seine Rolle („Ich hasste diesen Burschen von Anfang an“) einen Oscar und wurde nun als herausragender Charakterdarsteller weltberühmt. Für Lean agierte er in „Lawrence von Arabien“, er brillierte in „Doktor Schiwago“ und war „Unser Mann in Havanna“, bevor es ab Mitte der 60er Jahre ruhiger um den inzwischen zum Ritter geschlagenen Mimen wurde.
Das änderte sich 1977, als George Lucas ihn als Obi-Wan-Kenobi in „Star Wars“ besetzte. Guinness, der von dem Stoff rein gar nichts hielt, hatte nur widerwillig mitgespielt, und wurde nun reich, da er an den Einnahmen der Weltraum-Saga beteiligt war, und bei einer ganz neuen Generation berühmt. Danach verkörperte er für das Fernsehen den Geheimdienstler George Smiley derart intensiv, dass der Schriftsteller John Le Carre die Figur des Smiley literarisch nicht mehr weiter entwickeln konnte („Alec was George.“), veröffentlichte seine Autobiografie sowie einige Tagebuchbände, die er mit etlichen geistreichen Aphorismen würzte: „Es gibt kaum etwas Besseres, als mit einem guten Freund über ein interessantes Thema zu schweigen.“ Am 5. August 2000 ist Sir Alec Guinness im Alter von 86 Jahren gestorben, seine Frau Merula starb zwei Monate nach ihm.
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