Lebende Männer statt toter Helden
Heute vor 75 Jahren, am 17. Dezember 1939, versenkte sich das Panzerschiff „Admiral Graf Spee“ wenige Seemeilen vor der Küste von Montevideo selbst. Verantwortlich für diese Handlung war das Gewissen des kommandierenden Kapitäns, Hans Langsdorff. Er verstieß damit gegen die nationalsozialistische Parole vom Kampf bis zum letzten Mann. Stattdessen sorgte er dafür, dass seine Männer heil an Land gehen konnten. Anschließend beging Langsdorff Selbstmord.
Die 1936 in Dienst gestellte „Admiral Graf Spee“ war eines der modernsten Schiffe des Dritten Reichs. Geschickt an den Bestimmungen des Versailler Vertrags zur Wiederaufrüstung Deutschlands entlang konstruiert, verfügte das Panzerschiff zwar über eine relativ geringe Größe, dafür war es gut gepanzert, mit schweren Geschützen ausgestattet und das erste deutsche Schiff mit einem funktionsfähigen Radargerät an Bord. „Stärker als schnellere und schneller als stärkere“, lautete das Motto. Bereits im Spanischen Bürgerkrieg hatte die „Graf Spee“ auf Seiten Francos ihre Feuerkraft unter Beweis gestellt. Ihr erneutes Auslaufen Ende August 1939 fand hingegen im Rahmen der vorbereitenden Planung des Zweiten Weltkriegs statt. Unbemerkt zwischen den Färöern und Island hindurchgeschlüpft, steuerte die „Graf Spee“ anschließend in den Südatlantik, wo sie in Ruhestellung verborgen auf weitere Befehle wartete. Diese gingen am 26. September ein. Der Auftrag lautete: Kaperkrieg.
Diese Form des Krieges wurde bereits seit dem Mittelalter von kriegführenden Mächten praktiziert. Ziel war stets die wirtschaftliche Schwächung des Gegners. Da die Opfer in der Regel Zivilisten waren, galt seit der Neuzeit für den Kaperkrieg eine sogenannte „Prisenordnung“, die klar regelte, welche kriegswichtigen Güter beschlagnahmt oder zerstört werden dürfen. Ebenso musste für die Sicherheit der Besatzung aufgebrachter Handelsschiffe gesorgt werden. Im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Missachtung dieser internationalen Vereinbarung schlussendlich für den Eintritt der USA auf Seiten der Alliierten gesorgt. Kapitän Langsdorff hielt sich gewissenhaft an diese Regelungen. Bei der Versenkung von insgesamt neun britischen Handelsschiffen kam nicht ein einziger Seemann ums Leben. Für die britische Marine waren die Verluste im Südatlantik jedoch der Auftakt für eine umgehende Verfolgungsjagd. Da Kapitän Langsdorff durch fingierte Funksprüche und wechselnde Attrappenaufbauten erfolgreich den Eindruck erweckte, es sei ein ganzes Geschwader deutscher Kaperschiffe im Einsatz, sollten bald bis zu 28 britische Kriegsschiffe an der Jagd beteiligt sein. Doch alle Bemühungen blieben erfolglos, bis der deutsche Kapitän sich schließlich selbst den Gegnern offenbarte.
Ob aus Übermut oder vollkommener Fehleinschätzung der Lage heraus, lässt sich schwer rekonstruieren. Überlebende deutsche Soldaten berichteten etwa von erbeuteten Informationen über einen britischen Handelskonvoi, die einem Prisenkommando zufällig in die Hände gefallen sein sollen. Zumindest stieß die „Graf Spee“ in Erwartung fetter Beute in das Mündungsdelta des Rio de la Plata vor. Doch statt weitere Prisen zu machen lief das Panzerschiff direkt in ein britisches Geschwader aus drei Kreuzern, der „Exeter“, der „Achilles“ und der „Ajax“. Am 13. Dezember lieferten sich die Kriegsschiffe ein erbittertes Gefecht. Ein britischer Kreuzer wurde zerstört, aber auch an Bord der „Graf Spee“ hatten die gegnerischen Treffer schwerer gewütet als erwartet. Langsdorff zog sich nach Montevideo an der Küste des neutralen Uruguay zurück, um dringend notwendige Reparaturen durchzuführen.
Die Regierung des südamerikanischen Landes verweigerte dem deutschen Kriegsschiff aber einen längeren Aufenthalt und machte die Instandsetzung des Schiffes damit unmöglich. Gleichzeitig sorgte die britische Auslandsvertretung für eine Verzögerung des Wiederauslaufens der „Graf Spee“, um britische Verstärkung heranzuführen. Die Lage wurde für Kapitän Langsdorff immer dramatischer. Ohne die nötigen Ausbesserungen und Nachschub sah er sich außer Stande, sein Schiff erfolgreich durch eine britische Blockadeflottille zu führen. Ein Kampf unter solchen Vorzeichen wäre seiner Einschätzung nach ein Selbstmordunternehmen. Dies lehnte er aber entschieden ab. Ihm seien tausend lebende junge Männer wichtiger als tausend tote Helden, so wurde Langsdorff wiederholt zitiert. Damit entschied er sich entgegengesetzt zu dem namensgebenden Admiral Maximilian von Spee, der 1914 sein komplettes Geschwader in einem aussichtslosen Gefecht vor den Falkland Inseln geopfert hatte.
Am 17. Dezember lief die „Graf Spee“ aus dem Hafen aus, nachdem bereits ein Großteil der Besatzung unbemerkt von der Öffentlichkeit in Montevideo von Bord gegangen war. Wenige Seemeilen vor der Küste fielen ein letztes Mal die Anker des Panzerschiffes, die verbliebenen Männer versahen das Schiff mit Sprengsätzen und gingen ebenfalls von Bord. In den Abendstunden explodierte die „Graf Spree“, brannte aus und versank. Die Besatzung floh nach Buenos Aires in Argentinien. Der Kapitän aber setzte seinem Leben selbst ein Ende und erschoss sich in der argentinischen Hauptstadt, wo er unter militärischen Ehren beigesetzt wurde. Während ihm sogar die Seeleute der gekaperten britischen Handelsschiffe bei der Beerdigung ihren Respekt erwiesen, wurde Langsdorffs Handeln von den Nationalsozialisten in Deutschland propagandistisch vertuscht. Die Witwe des vermeintlichen „Hochverräters“ Langsdorff hatte hingegen unter Repressalien, wie etwa der Kürzung ihrer Witwenrente, zu leiden. Im kanadischen Bundesstaat Ontario gibt es aber bis heute in der Stadt Ajax eine Straße, die Langsdorffs Namen trägt.
Warum in Essen aber eine Schule nach dem alten Admiral Graf Spee benannt ist, erschließt sich vor dem Hintergrund der Geschichte nur schwer. 1961 erhielt diese pädagogische Anstalt ihren ursprünglichen Namen von 1918 zurück, nachdem er in der Nachkriegszeit verschwunden war. Es bleibt zu hoffen, dass in Deutschland auch künftig das Leben junger Menschen höher gewertet wird als das Ansehen toter „Helden“…
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