„Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?“

Herbert Wehner auf Briefmarke aus dem Jahr 2000 Von 1949 bis 1983 war Herbert Richard Wehner ununterbrochen Mitglied des deutschen Bundestages. Der SPD-Politiker verstarb heute vor 25 Jahren nach langer Krankheit und bleibt besonders wegen seines unerhörten rhetorischen Stils der Debattenführung für immer unvergessen.

Bis heute hallt ihm der Ruf nach, der „größte Schimpfbold des deutschen Bundestages“ (Karl Carstens, CDU) gewesen zu sein. In den 23 Jahren seines Wirkens in der Bundestagsfraktion der SPD trug sich der impulsive Wehner insgesamt 77 parlamentarische Ordnungsrufe ein. Niemand anders kommt auch nur annähernd auf diese Zahl an Rügen, die von Bundestags- oder Landtagspräsidenten erteilt werden.

Und selbst Bundestagspräsidenten waren vor seinen verbalen Entgleisungen nicht sicher. Regelmäßig bezeichnete er Personen der politische Gegnerschaft mit mehr oder weniger harmlosen Kraftausdrücken. So wurde ein „Lümmel“ vom Bundestagspräsidenten gerügt, woraufhin Wehner entgegnete: „Schönen Dank, Herr Präsident, dass Sie aufgewacht sind.“ Die Strafe folgte auf dem Fuße: „Ich rüge diese Bemerkung ebenfalls.“

Zwischenrufe der unfeinen Art waren ebenfalls Wehners Spezialität. Ohne besonderen Grund unterbrach Wehner die Parlamentsrede des CDU-Abgeordneten Möllers mit: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus.“ Nachdem dieser wohl noch nicht genug provoziert war, wiederholte Wehner seine Forderung zwei Minuten später: „Waschen Sie sich erst einmal!“ Auch andere politische Gegner bekamen regelmäßig ihr Fett ab. So etwa der CDU-Abgeordnete Wohlrabe, der von Wehner als „Herr Übelkrähe“ beschimpft wurde. Augenscheinlich musste sich Wehner über diesen sehr konservativ geprägten Abgeordneten besonders geärgert haben, sodass dieser sich die Frage gefallen lassen musste: „Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?“ Doch selbst Mitglieder der eigenen Partei blieben nicht verschont. Dem SPD-Abgeordneten Zebisch, der sich über die in den 1960er Jahren noch übliche alphabetische Sitzverteilung beklagte, empfahl Wehner, sich in „Genosse Arschloch“ umzubenennen.

Der Haudegen im Deutschen Bundestag war aber nicht Opfer seines vermeintlich unkontrollierten schlechten Benehmens, im Gegenteil. Er nutzte seine rhetorischen Fähigkeiten gezielt, um politische Aufmerksamkeit zu erlangen: Entweder er bestach durch seine rüpelhaften Spitzen, um auf ein Thema zu lenken, oder aber auch um davon abzulenken. Auch kannte Wehner das Regelwerk des Bundestages in Bezug auf die Ordnungsrufe ganz genau. Erst nach einer dritten mündlichen Rüge durch den Präsidenten wurde man des Saales verwiesen. Soweit kam es mit Wehner wegen seiner Wortwahl nie, doch kassierte er einige Male gleich zwei seiner wohlverdienten Abmahnungen.

Falsche Scham oder gar übertriebener Respekt waren dem SPD-Parlamentarier ebenfalls nicht bekannt. Den damaligen Fraktionsvorsitzenden Helmut Kohl belegte er mit einer seiner zahlreichen selbst erfundenen Bezeichnungen, nachdem dieser ihn in seiner Rede unterbrochen hatte: „Lassen Sie mich doch ausreden, Sie Düffeldoffel da!“
Was genau dieses Kunstwort bedeuten sollte, war im Zusammenhang irgendwie verständlich. Ein Kompliment würde vermutlich anders klingen.

Bis heute ist diese Wortschöpfung ein Paradebeispiel für die rhetorische Gewalttätigkeit des legendären Politikers. Seit 2010 wird ein Karnevals-Orden namens „Düffeldoffel“ von den märkischen SPD-Kreisverbände zum politischen Aschermittwoch verliehen.


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Authored by: Boris M. Hillmann

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