Ein ambivalenter Autor: Lebensnahe Beobachtungen und koloniale Weltsicht
An Popularität hat sein bekanntestes Werk, der Kinderbuchklassiker „Das Dschungelbuch“, den Schriftsteller Rudyard Kipling weit übertroffen. Dabei ist der spätere Literatur-Nobelpreisträger weit mehr als nur ein Kinderbuchautor. Traditionen und das kulturelle Leben in Indien sind die zentralen Themen in Kiplings Romanen und Erzählungen. Vor 150 Jahren, am 30. Dezember 1865, wurde Joseph Rudyard Kipling als Sohn des englischen Kurators John Lockwood und dessen Frau Alice, geborene Macdonald Kipling, in Bombay, dem heutigen Mumbai, geboren.
Das Dschungelbuch ist eine Zusammenstellung von mehreren Erzählungen und Gedichten. Ursprünglich wurden sie von Rudyard Kipling 1894 und 1895 in zwei Bänden veröffentlicht. Spätere Publikationen bündelten die Erzählungen meist in einem Band. Zentrale Figur der bekanntesten Geschichten ist Mowgli, ein Findelkind, das bei den Tieren des indischen Dschungels aufwächst. In mehreren Geschichten erzählt Kipling vom kleinen indischen Jungen Mowgli, der bei einem Überfall des Tigers Shir Khan von seinen Eltern getrennt wird. Mowgli landet bei einer Wolfsfamilie. Die Wolfsmutter zieht ihn gemeinsam mit ihren eigenen Jungen groß, und Mowgli lernt, im Dschungel zu überleben. Er muss erkennen, dass die Gesetze der Natur hart sind und ein hohes Maß an Verantwortung erfordern.
Der Panther Bagheera lehrt Mowgli sinnvolle, lebensnotwendige Dinge; Baloo der Bär hingegen bringt ihm die humorvolle und entspannte Seite des Lebens näher. Gemeinsam mit seinen tierischen Freunden und Begleitern reift Mowgli zu einem selbstbewussten Jugendlichen. Doch der bösartige Tiger lässt nicht locker: Shir Khan verlangt nach seiner Beute. So muss Mowgli unterstützt von seinen Freunden, Baloo und Bagheera, gegen Shir Khan kämpfen. Als Spielfilm und als Zeichentrickfilm wurde das Dschungelbuch mehrmals verfilmt. Die Postverwaltung des asiatischen Königreichs Bhutan widmete der Disney Dschungelbuch-Verfilmung im September 1982 einen Briefmarkensatz mit neun Trickfilm-Motiven, auch die USA und San Marino gaben dazu Marken heraus.
Rudyard Kipling war ein literarischer Einzelgänger. Seine Erzählprosa orientiert sich kaum an den literarischen Bewegungen seiner Zeit. Weder der Dekadentismus, jene pessimistische Strömung zwischen den Jahren 1890 und 1914, die den kulturellen Verfall zu ihrem Thema machte, noch der Modernismus mit seinem Streben nach Modernität fanden Einzug in Kiplings Schilderungen. Der britische Schriftsteller bevorzugte eine schlichte Sprache, lebensnahe Beschreibungen und einen straffen, mitreißenden Erzählstil. 1907 erhielt er dafür den Nobelpreis für Literatur. „Exotik sucht man in den Geschichten vergeblich“, stellt die Schweizer Hörfunkredakteurin Franziska Hirsbrunner fest. „Das hat auch damit zu tun, dass Kipling sich bedingungslos für die Realität interessierte.“
Kritiker werfen Kipling vor, er stelle den Herrschaftsanspruch der Briten nicht infrage und betrachte die Unterwerfung der Kolonien als eine zivilisatorische Leistung. In der Tat durchziehen das Leben des Publizisten diverse ambivalente Züge. Als junger Journalist in Indien war Kipling ein offener, wissbegieriger Beobachter. Doch die Neugier am Fremden wandelte sich zum Bemühen, es zu kontrollieren. Später verfestigte sich Kiplings imperialistische Weltsicht, nationalistische Töne nahmen zu und er wurde zu einem vehementen Verteidiger des British Empire. In seinen politischen Schriften sprach er sich gegen Frauenrechte und Unabhängigkeitsbestrebungen aus und vertrat antidemokratische und autoritäre Positionen. „Gerade die kritische und historisch fundierte Auseinandersetzung“, äußert der Kipling-Biograf Stefan Welz, sei notwendig, „um ideologische Pauschalurteile aufzubrechen und mehr über die Zusammenhänge einer Zeit zu erfahren, die für die westlichen Gesellschaften prägend war.“
Während des Ersten Weltkriegs war Kipling stark antideutsch eingestellt. Er stand Deutschland ablehnend bis feindselig gegenüber. Vielleicht liegt hierin der Grund, weshalb erst im Juli 2015 die erste deutsche Kipling Biografie von Stefan Welz erschien. 1936 starb Rudyard Kipling im Alter von 70 Jahren. Er wurde in der Westminster Abbey begraben. Am Ende seines Lebens hinterließ er über 30 Werke, darunter Erzählungen, Lyrik, Essays und Romane. Allein sein poetisches Schaffen umfasst über 1300 Gedichte. Noch im Jahr 2013 wurden in den USA 50 bisher unbekannte Gedichte Kiplings entdeckt. Unermüdliche Recherchen von Thomas Pinney, einem emeritierten Professor der University of California, förderten sie bei Renovierungsarbeiten in Manhattan, aus alten Familienpapieren und aus dem Nachlass eines Vorstandsmitglieds einer Kreuzfahrtlinie, zutage.
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