Heinrich Böll – Zum 100. Geburtstag
„Ein Autor nimmt nicht Wirklichkeit, er hat sie, schafft sie, (…). Wichtig ist, was aus ihm (dem Roman, die Verf.) an geschaffener Wirklichkeit herauskommt und wirksam wird.“ Im Sommer 1964 skizziert Heinrich Böll in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen sein Verständnis von der Arbeit eines Schriftstellers. Am 21. Dezember wäre der Schriftsteller Heinrich Böll hundert Jahre alt geworden.
Erinnerung an einen Unbequemen
1972 folgte mit der Verleihung des Literaturnobelpreises der Höhepunkt seiner Anerkennung als Literat; Böll galt und gilt als einer der bedeutendsten, auch international erfolgreichen Schriftsteller vor allem des Nachkriegsdeutschlands.
Schwerer Beginn
Die ersten Jahre als freier Schriftsteller waren jedoch sehr mühsam. Bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Heinrich Böll begonnen, mit seiner selbst geschaffenen Wirklichkeit in Form von Kurzgeschichten an die Öffentlichkeit zu treten. Als erste Veröffentlichung erscheint die Geschichte Aus der Vorzeit am 3. Mai 1947 im Rheinischen Merkur. Weitere Zeitungsveröffentlichungen folgen, bis das erste Buch Der Zug war pünktlich Ende Dezember 1949 in die Buchläden kommt.
Den Durchbruch brachten die Erzählungen jedoch nicht und das lag nicht nur an den schmalen Honoraren: „In der Tat richtete sich die sich die Nachfrage nach literarischen Erzeugnissen zunächst auf (…) die bislang nicht verfügbaren Autoren des Auslands und der Schriftsteller der sogenannten inneren Emigration. Für Angehörige der jungen Generation – gemeint waren damit Autoren, die nach dem Krieg zu publizieren begannen, blieb wenig Raum für Erfolg und Anerkennung“, schreibt Bölls Biograf Jochen Schubert.
Böll bot Mitarbeit beim Rundfunk und als Übersetzer englischer Literatur an, er bewarb sich – erfolglos – als Mitarbeiter bei Zeitungen, er schrieb Hörspiele und Essays, um Geld in die Kasse zu bekommen. Bereits in den frühen Essays, so im Portrait einer katholischen Zeitung von 1949 zeigt sich ein Lebensthema Heinrich Bölls: die kritische Auseinandersetzung in schreibender Form mit der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit des Staates, in dem er lebte. So prangert der gläubige Katholik Böll restaurative Tendenzen in der Kölnischen Rundschau an und kritisiert die Art der Meinungsbildung, die lanciere, dass alles in Ordnung sei. Aber, so schreibt Böll: „nichts von Wohnungselend, nirgendwo eine Frechheit, eine Offenheit.“
Böll, der Soldat
Böll erwartete von der jungen Bundesrepublik nichts weniger als einen radikalen Neuanfang nach dem Naziregime und dem Schrecken des sechs Jahre langen Krieges. Ihn hatte er von Anfang bis Ende als Soldat durchlitten. Die jüngst als Faksimile-Druck erstmals veröffentlichten Kriegstagebücher des jungen Böll legen von dieser Zeit ein erschütterndes Zeugnis ab. Bereits vorher, als Gymnasiast, hatte er Gedichte und kurze Geschichten geschrieben, was in der Familie zur Frage führte, was aus dem Jungen mal werden solle – so auch der Titel eines späteren autobiografischen Textes. Die Antwort „irgendwas mit Büchern“ führte zunächst zur Aufnahme einer Buchhandelslehre, die Heinrich Böll aber abbrach, um sich später an der Universität einzuschreiben.
Die Handwerksfamilie
Hineingeboren wurde Heinrich am 21. Dezember 1917 in Köln in eine Familie von Handwerkern, als jüngstes Kind des Schreinermeisters Viktor Böll und seiner zweiten Frau Maria. Viktor führte gemeinsam mit einem Geschäftspartner eine Kunsttischlerei, die später den Beinamen „Werkstatt für Kirchenmöbel“ erhielt. Die Aufträge der vielen katholischen Kirchen Kölns sicherten bis in die 20er-Jahre hinein der Familie eine sichere ökonomische Existenz. Erst der Börsencrash Ende der 20er-Jahre brachte schließlich auch den wirtschaftlichen Boden der Familie ins Wanken, sie musste das Einfamilienhaus in Köln/Raderberg verlassen und zukünftig zur Miete wohnen.
Zeit seines Lebens blieb Heinrich Böll misstrauisch gegenüber Ideologien und dem scheinbaren Versprechen einer wirtschaftlich gesicherten Existenz durch ein Wirtschaftssystem, das auf permanentes Wachstum und Konsum ausgerichtet war. Nirgends kommt dies so kristallisiert zum Ausdruck wie in seiner Kurzgeschichte Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral, die Böll zum Tag der Arbeit für den Norddeutschen Rundfunk verfasst hatte. Hierin spricht ein Tourist einen Fischer an, der nach getaner Arbeit in seinem Boot im Hafen döst. Der weltgewandte und moderne Tourist begreift nicht, wieso der Fischer nicht öfter hinausfahren und ein Fischereiimperium errichten möchte. Dies würde ihm ermöglichen, sich zur Ruhe zu setzen und in der Sonne zu dösen. Mit der entwaffnenden Antwort: „Aber das tue ich doch jetzt schon!“ zeigt sich Böll als gesellschaftlicher Provokateur mitten im bundesdeutschen Wirtschaftsboom.
In der Gruppe 47
1951 hatte die Prämierung seiner Erzählung Die schwarzen Schafe durch die (Autoren-)Gruppe 47 seinen Durchbruch und seinen Bekanntheitsgrad als Schriftsteller befördert. Auch in dieser Geschichte über die Funktion von Außenseitern innerhalb einer Familie zeigt er sich von seiner satirischen Seite. In seinen Erzählungen und Romanen, die nun in kurzen Abständen erschienen, macht Böll dies immer wieder zum Thema: das (menschliche) und eigensinnige Verhalten des Einzelnen und immer wieder der Krieg als tatsächlich erlebte Wirklichkeit, wie in Der Zug war pünktlich, Wo warst Du Adam?, und Gruppenbild mit Dame. Seine Sprache, lakonisch, bildhaft, direkt, fand den Weg zum Publikum. So führte der Roman Gruppenbild schon bald nach Erscheinen 1971 die Bestsellerlisten an.
Daneben äußerte er sich immer wieder zu politischen Themen, gab Interviews, hielt Reden. Vor allem hier wurde er immer mehr zum Unbequemen, der den Finger in die Wunde legte. So, wenn er die Kontinuität von Nazi-Biografien in der bundesdeutschen Verwaltung oder den Umgang der staatlichen Organe mit den Studentenprotesten der 60er-Jahre kritisierte. 1972 erkannte die Schwedische Akademie Heinrich Böll als erstem Nachkriegsschriftsteller Deutschlands den Literaturnobelpreis zu. Maßgeblich dafür war sein Gesamtwerk, aber auch der Roman Gruppenbild.
Der Literaturnobelpreis
Gesundheitlich angeschlagen und überarbeitet, erreichte Böll das Telegramm des Nobelpreis-Komitees in einer schwierigen Zeit. Denn im Januar 1972 war im Spiegel ein Artikel Heinrich Bölls erschienen: „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ Gemeint war Ulrike Meinhof. Der Text, dessen Überschrift vom Spiegel ohne Absprache verändert worden war, löste eine monatelange Kampagne gegen Böll aus. Man unterstellte ihm, er würde mit den Terroristen sympathisieren – das Gegenteil war der Fall. Im Zuge des überhitzten Klimas der Terrorangst wurde sogar Bölls Haus durchsucht.
1974 veröffentlicht der Schriftsteller eins seiner bis heute bekanntesten Werke: Die verlorene Ehre der Katharina Blum, eine beißende Medienkritik. Sein letzter Roman, Frauen vor Flußlandschaft, thematisiert den Zustand der Bonner Republik in den 80er-Jahren. Er erscheint 1985, nur wenige Wochen nach Heinrich Bölls Tod am 16. Juli.
Literaturtipp: Zum Einstieg in das Leben und Werk Heinrich Bölls eignet sich die neue Biografie „Heinrich Böll“ von Jochen Schubert. Alle Zitate dieses Artikels fußen auf dieser Biographie, die auch bisher nicht zugängliche Quellen verarbeitet.
Beitragsbild: Göttinger Literaturherbst
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