„Dummheit ist ein gutes Ruhekissen“
Nein, er war sicherlich kein einfacher Mensch. Egon Friedell, kreativer Sturzbach, unerschöpfliches Lästermaul, personifiziertes Bonmot, Tausendsassa und leidenschaftlicher Kritiker der Menschheit und seiner selbst, verband alle Eigenschaften, die man braucht, um seine Umwelt fortwährend vor den Kopf zu stoßen. Das Schlimmste aber, was man den Menschen um sich herum antun kann, ist in keine Schublade zu passen. Was war denn nun, der 1878 geborene Egon Friedmann? War er ein Historiker, wie seine oft als „Lebenswerk“ bezeichnete „Kulturgeschichte der Neuzeit“ glauben macht? Eher nicht, würde der Historiker antworten. Zu sehr beruht Friedells Werk auf Meinung anstelle von Quellenanalysen.
Studierte er nicht Philosophie? Richtig, 1904 in Heidelberg promovierte er gar zum Thema Novalis als Philosoph. Doch sah er den Doktorgrad schlussendlich nur als Voraussetzung, unmittelbar von der Universität ins Kabarettfach zu wechseln. Wenig schmeichelhaft für den Wissenschaftsbetrieb, könnte man meinen. Aber Schmeicheleien haben keinen Platz in einer Weltanschauung, die sich die Menschheit als einen Spielplatz unverbesserlicher Kinder vorstellte, die getrieben von Lust, Ehrgeiz, Kleingeist und Idealismus doch in einem fort nur Unheil anrichteten.
Erstaunlich aber, dass Friedell es ihnen – angesichts des menschlichen Naturells – fast schon zu verzeihen schien. Nicht immer, zu sehr waren ihm Barbarei und Brutalität ein Greuel, aber er zog es vor, seinen Standpunkt auf eine höhere Warte zu verlagern, um selbst im Angesicht der größten Unmenschlichkeit auf das herabblicken zu können, was er verachtete. Die Nationalsozialisten, die seine Bücher verbrannten und am Ende verantwortlich für seinen Tod waren, stellten für ihn „eine Rotte verkommener Hausknechte“ dar. Das Böse musste jeglicher Größe beraubt werden, um – wenn schon im Leben übermächtig – wenigstens in der Gesamtschau auf den gebührenden Platz verbannt zu werden.
Kritiker – „lästige Nebenschösslinge der Kunst, müßige Volontäre ohne rechten Zweck“ – waren dem Theatermenschen Friedell verhasst. Der selbsternannte Dilettant der Bühne, der für Max Reinhardt als Dramaturg, Regisseur und Schauspieler gearbeitet hatte, schrieb nichtsdestotrotz – neben Essays und Kommentaren – selbst als Theaterkritiker, allerdings mit einem Habitus, der stets klarstellte, dass er diese Arbeit nicht ernsthaft betriebe. So wie er überhaupt ein Problem mit der „Berufstätigkeit“ an sich hatte. Auch hier postulierte er den Dilettantismus als goldene Verbindung von Mensch und Beruf. Der „Ernst des Lebens“ sei nichts als ein Vorurteil, welches von frühester Kindheit die Gemüter verdrehe. So schlüpfte das schillernde Fischlein ruhelos durch alle Maschen und Netze, nirgends zu Hause, aber überall ganz vorn dabei.
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Doch hinter dem leuchtenden Antlitz des großen Mannes, des vielseitigen Genies des Kulturbetriebes, gab es noch ein anderes Thema, welches sein Leben sehr beherrscht: Einsamkeit. „Wir alle leben im Exil“, schrieb er einmal. Seine Kindheit und Jugend in Wien waren von Verlust geprägt. Die Mutter verließ die Familie, als Egon Friedell noch ein Kleinkind war. Seinen Vater verlor er im Alter von 13 Jahren. Danach lebte der Junge bei einer Tante in Frankfurt. Doch seiner familiären Wurzeln beraubt, verweigerte er fortan die Eingliederung in die Gesellschaft. Rebellisches Verhalten führte zu Schulverweisen und nur mit viel Mühe vermochte er nach etlichen Versuchen einen Schulabschluss zu erlangen. 1915 meldete sich Egon Friedell als Kriegsfreiwilliger, doch wies man ihn als untauglich ab. Eine eigene Familie war ihm nicht vergönnt, zu groß war sein Unbehagen Frauen gegenüber. Völlerei und Trunksucht verschafften dem Einzelgänger körperlichen Genuss, bis hin zu einem Kuraufenthalt inklusive Alkohol-Entgiftung. Doch auch aus dieser Problematik fabulierte Friedell sich auf gewohnte Weise heraus. Krankheit sei für das Genie wie Sport für den Mittelmäßigen. Alkohol sei zwar erwiesenermaßen ein Gift, aber das sage nichts über seinen Wert aus, sei doch jede Medizin auch und vor allen Dingen Gift.
So blieb er ein Suchender, der seine Rolle in der von ihm geringgeschätzten menschlichen Gesellschaft nicht zu finden vermochte und sich in Konsequenz besser gleich für ein halbes Dutzend Rollen entschied. Die Kritik eines Verlegers, man könne nicht mit einem Gesäß auf vielen Hochzeiten tanzen, quittierte er mit der Warnung, er möge sein Gesäß nicht unterschätzen.
Heute vor 75 Jahren, am 16. März 1938, setzte Egon Friedell in Wien seinem Leben ein Ende. Als wenige Tage nach dem deutschen Einmarsch in Österreich eine Gruppe SA-Männer vor seiner Haustür erschien, sprang er aus dem Fenster seiner im dritten Stock gelegenen Wohnung.
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eine hervorragende beschreibung – gratulation !
wobei, dass der meister selbst einmal in der weise anerkennung findet, dass eine briefmarke seinen prächtigen schädel darbietet: damit hätte friedell, ein verächter aller öffentlichen rühr- und ruhmseligkeit, sicher nicht gerechnet.
zudem: die leut haben heute noch nicht ganz begriffen, wie modern alles noch ist, was der gute egon vor über hundert jahren von sich gelassen hat. vesonders die zensoren von heute haben friedell noch nicht studiert, sonst wären seine bücher heute schon wieder verboten!