Ein Genie voll Ironie (Teil 1)
Wer kennt ihn nicht, den französischen Dichter und Philosophen, den großen Mann mit den kleinen Leidenschaften, der so freigebig und schonungslos mit seinem Spott und seiner Satire war, und doch so empfindlich und schnell gekränkt, wenn einmal fremden Tadel er erfuhr? Kein geringerer als Monsieur de Voltaire, die bedeutendste Persönlichkeit der europäischen Aufklärung, deren Jahrhundert ihrer Entfaltung noch heute oft als „Siècle de Voltaire“ bezeichnet wird. In seinen vielzitierten Werken formulierte er die Werte der Vernunft, Toleranz und Menschenwürde. Heute vor genau 320 Jahren, am 21. November 1694, erblickte er in Paris das Licht der Welt. Diesbezüglich war er selbst aber ganz anderer Ansicht, denn zeit seines Lebens betonte er immer wieder, dass bereits der 20. Februar desselben Jahres – wohl der Tag seiner Zeugung – eigentlich sein Dasein begründete. Monsieur de Voltaire, der auf den Namen François-Marie getauft wurde, war das dritte und spätgeborene Kind von François und Marie Arouet. Sein Bruder Armand war zehn, seine Schwester Catherine acht Jahre älter als er. Zum Zeitpunkt der Geburt war der Vater bereits ein angesehener und wohlhabender Notar, später Hoher Richter (Conseiller du roi) am Obersten Finanzgericht. Seine ausgesprochen gebildete Mutter entstammte ebenfalls einer Pariser Juristenfamilie, sie verstarb als François-Marie gerade sechs Jahre alt war.
1704 kam er als Internatsschüler an das Jesuitenkolleg Louis-le-Grand, wo er eine vorzügliche humanistische Bildung erhielt und schon als Knabe sehr ungewöhnliche geistige Anlagen zeigte. Eine Anekdote erzählt, wie er im dritten Lebensjahr unter der Obhut seines Patenonkels, des Abbé de Châteauneuf, die „Fables“ La Fontaines nachzuerzählen und die „Moïsade“, ein recht umfangreiches Gedicht aus der Feder des Freidenkers Lourdet, fehlerfrei zu rezitieren wusste. Darin wird die mosaische Tradition als eine klug erfundene Erzählung (conte bien inventé) und schlaue Lüge (mensonge subtil), mit denen Moses seine Autorität gestützt haben soll, aufs Schärfste verurteilt. Zwar wird der Knirps die Bedeutung dieser Worte nicht in allen Einzelheiten verstanden haben, doch zeichneten sie gewiss den Weg vor, den sein Geist in der Folgezeit zu nehmen bestrebt war, auch haben sie wohl so manchem seiner späteren Angriffe gegen die Kirche als Vorbild gedient.
Da François-Marie ganz wie der ältere Bruder in die Fußstapfen des Vaters treten sollte, schrieb er sich zwar 1711 an der juristischen Fakultät ein, widmete sich aber meist dem Verfassen geistreicher Verse und verkehrte in den philosophisch-literarischen Zirkeln der Stadt. Als dem Vater dies zu Ohren kam, zwang er ihn eine Stelle als Notariatsgehilfe (clerc de notaire) in Caen anzutreten. Aber auch in der Normandie fand er sehr schnell seinesgleichen, sodass er bald den Bruder seines Patenonkels auf seiner diplomatischen Sendung nach Den Haag begleiten musste (1713). Er begann dort eine Liebschaft mit der siebzehnjährigen „Pimpette“, einer Hugenottin aus angesehener Familie und plante sogar ihre Entführung. Eine Beschwerde der entsetzten Mutter folgte auf dem Fuße und auch der eigene Vater tobte, drohte mit Enterbung und wollte ihn nach Amerika in die Verbannung schicken. Schließlich vertraute er aber seinen Sohn dem Marquis von Saint-Ange, Monsieur de Comartin an, einem ehemaligen Klienten von höchster Geistesbildung. François-Marie las und schrieb dort sehr eifrig, lauschte aber auch aufmerksam den Erzählungen seines Gastgebers, die ihm Stoff für seine späteren Werke liefern sollten.
Inzwischen wusste François-Marie mit seinen brillanten Aperçus und Spottgedichten derart angenehm zu unterhalten, dass die vornehme Gesellschaft förmlich um seine Anwesenheit buhlte. 1716 war er wieder einmal der Einladung des Herzogs von Maine auf das Château de Sceaux gefolgt, den Ludwig XIV. zusammen mit dessen Cousin Philipp von Orléans zum Regenten für den noch minderjährigen Ludwig XV. bestimmt hatte. Doch Philipp hatte seinen unehelichen Rivalen inzwischen mit Hilfe des Parlaments absetzen lassen. François-Marie trug daher völlig ungeniert ein satirisches Gedicht vor, in dem er auf das Gerücht anspielte, Philipp unterhalte ein inzestuöses Verhältnis zu seiner Tochter, der Herzogin von Berry. Als Philipp davon Wind bekam, verbannte er ihn für einige Monate aus Paris. Nach seiner Rückkehr fuhr er aber munter fort und äußerte im Beisein eines Spitzels, dass er selbst der Autor jener anstößigen Verse sei. Bereits im Mai 1717 stand er in der Bastille unter Arrest. Während dieser Zeit vollendete er seine philosophisch-satirische Tragödie „Œdipe“ und begann mit den Arbeiten am Epos „La Ligue“ über die verheerendste Phase der Hugenottenkriege und deren Beendigung durch Heinrich IV.
Dank der Fürsprache einiger einflußreicher Gönner, wurde François-Marie Arouet bereits nach elf Monaten aus der Haft entlassen und trat fortan als Monsieur de Voltaire auf, einem „nom de plume“ (Schriftstellername), der ein Anagramm seines Namens Arouet l(e) i(eune) (der Jüngere) war. Die Aufführung von „Œdipe“ (1718) – sogar Philipp von Orléans und seine Tochter wohnten ihr bei – wurde als großer literarischer Erfolg gefeiert und machte Voltaire schlagartig berühmt. Es entstehen weitere Werke wie die Tragödie „Artémire“ (1720) und die Versepistel „Épître à Uranie“ (1722).
Den zweiten Teil unseres ausführlichen Voltaire-Porträts lesen Sie morgen auf unserer Seite.
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