Groß wurde er mit dem Kleinen
Als „Einstein der Aufklärung“ behauptet er heute seinen Platz in der Wissenschaftsgeschichte, er war ein brillanter Mathematiker, Physiker und Astronom und lebte im Frankreich der besten aller möglichen Welten. Die Rede ist von Pierre-Simon Laplace, der heute seinen 265. Geburtstag feiert. Geboren wurde er am 28. März 1749 in Beaumont-en-Auge, einem malerischen Dorf in der Normandie. Seine Eltern entstammten beide gut situierten Familien, der Vater war Gastwirt, Cidre-Händler und langjähriger Bürgermeister der Gemeinde, seine Mutter die Tochter wohlhabender Gutsbesitzer aus Tourgéville. Da Pierre-Simon nach dem Wunsch des Vaters Geistlicher werden sollte, verbrachte er die Schulzeit zunächst auf der örtlichen Benediktinerschule, die nicht gerade reformpädagogische Methoden predigte: Abschreiben und Memorieren, gewürzt mit einer Prise Philosophie, standen auf der Tagesordnung. Dort fiel er sehr bald durch seinen unermüdlichen Arbeitseifer und sein herausragendes Gedächtnis auf.
Dem Lebensentwurf seines Vaters entsprechend, schrieb er sich kaum siebzehnjährig an der Universität von Caen für Theologie ein. Aber während dieser beiden Jahre, die er dort verbrachte, entdeckte er unter der Obhut seines Mentors Pierre le Canu sein außerordentliches Talent und die Liebe zur Mathematik. Heureka!
Bereits in der Schule war sein Interesse für die Naturwissenschaften geweckt worden, da er als Zehnjähriger miterlebt hatte, wie sich die vor Jahrzehnten gestellte Prognose des englischen Astronomen Edmond Halley, der nach ihm benannte Komet werde zurückkehren, als richtig erwies. Einem Trio französischer Astronomen war es sogar gelungen, die Ankunft auf einen Monat genau, den April 1759, vorherzusagen. Damit war für die europäische Welt erwiesen, dass vielen Naturphänomenen Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, die mathematisch beschrieben werden konnten, und ein göttliches Eingreifen nicht länger notwendig war.
Für Laplace stand deshalb fest, dass er sich fortan nicht mehr der Theologie, sondern ganz der Naturwissenschaft widmen wollte, sodass er im Sommer 1769 wider den Willen des Vaters nach Paris ging. In Caen hatte er ein Empfehlungsschreiben erhalten, das ihm die Türen zu dem berühmten Mathematiker, Physiker und Enzyklopädisten Jean-Baptiste le Rond d’Alembert öffnen sollte. Von einer vorgelegten Studie über die Trägheit von Körpern zeigte sich dieser sofort derart beeindruckt, dass er ihn künftig nicht nur persönlich unterrichtete, sondern ihm auch eine Anstellung als Mathematikdozent an der Militärakademie verschaffte, die ihn finanziell absichern sollte.
Laplace wollte aber eigentlich Wissenschaftler werden, und so betrieb er, in der Absicht an der Pariser Académie des Sciences aufgenommen zu werden, eifrig seine Studien in der vorlesungsfreien Zeit. Bereits im März 1770 reichte er eine erste Abhandlung zu Extremwertproblemen ein. Es folgten weitere bemerkenswerte Arbeiten zur Integralrechnung, Astronomie, Wahrscheinlichkeits- und Spieltheorie, insgesamt 13 Publikationen in weniger als drei Jahren. Der spätere Sekretär der Académie, Nicolas de Condorcet, schrieb, dass er nie zuvor einen so jungen Menschen gesehen habe, der in einer derart kurzen Zeit so bedeutende Beiträge zu vielen unterschiedlichen und schwierigen Themen eingereicht hatte. Dennoch wollte ihm die Académie den Lorbeer vorerst nicht reichen, und so wurden seine Bewerbungen mehrmals zugunsten älterer Kandidaten zurückgewiesen. Erst im März 1773 fand er Einlass ins für ihn Allerheiligste.
Besonders in den 1780er Jahren förderte er Ergebnisse zutage, die seinen späteren wissenschaftlichen Ruhm begründen sollten, und ihn schon damals zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Forscher machten. Dies geschah aber auch zum Leidwesen seiner Kollegen. So wurde ein großer Teil des Lebenswerkes seines einstigen Ziehvaters d’Alembert durch die Arbeiten von Laplace hinfällig, und das ihm eigentümliche, nicht gerade bescheidene Naturell – er hielt sich für den besten aller Mathematiker – trug wohl kaum zu einer Entspannung der Situation bei.
Zu seinen bedeutendsten Werken zählt das in den Jahren 1799 bis 1825 veröffentlichte „Traité de mécanique céleste“ (Abhandlung über Himmelsmechanik). Es bildet den Schlussstein in der mathematischen Astronomie, da er darin nicht nur die Forschungsergebnisse seiner Vorgänger zusammenfasste, sondern auch durch eigene Gedanken erweiterte. So beruhten Studien zur klassischen Mechanik, wie die Isaac Newtons, bisher auf den Gesetzen der Geometrie. Laplace hingegen bediente sich erstmals der Infinitesimalrechnung, einer Methode mathematische Funktionen auf unendlich kleinen Abschnitten widerspruchsfrei zu beschreiben. In seiner „Himmelsmechanik“ beweist er die Stabilität unseres Sonnensystems für astronomisch kurze Zeiträume, unter Vernachlässigung der durch die Gezeiten entstehenden Reibung. Für lange Perioden konnte dies allerdings inzwischen widerlegt werden.
Als das Buch dem Ersten Konsul Napoléon vorgestellt wurde, soll dieser zu Laplace gewandt gesagt haben: „Newton sprach in seinem Buch von Gott. Ich habe das ihrige schon durchgesehen und dabei diesen Begriff nicht ein einziges Mal gefunden.“ Laplace entgegnete diesem: „Sire, ich habe dieser Hypothese nicht bedurft.“
Den zweiten Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit bildete die Wahrscheinlichkeitstheorie. So beschreibt er diese in seiner 1812 publizierten „Théorie analytique des probabilités“ (Abhandlung über die Wahrscheinlichkeit) als gesunden Menschenverstand, ausgedrückt durch die Sprache der Mathematik. Sie versetzt uns in die Lage, das exakt abzuschätzen, was ein aufmerksamer Beobachter intuitiv fühlt, aber nicht erklären kann. Seine jahrzehntelange Grundlagenforschung auf diesem Gebiet, befähigt heute die moderne Wissenschaft mit großen Datenmengen fehlerfrei umzugehen: Er formulierte den Zentralen Grenzwertsatz. Dieser gestattet dem Forscher die Verwendung des Mittelwertes zahlloser Einzelmessungen, ohne aber dadurch die Aussagekraft der Studie zu gefährden.
Obwohl Pierre-Simon Laplace am Morgen des 5. März 1827 in Paris verstarb, lächelt uns sein Geist noch immer verschmitzt aus vielen naturwissenschaftlichen Lehrbüchern entgegen, und wir lächeln zurück: Herzlichen Glückwunsch!
Südosteuropa 2022 (E 8)
ISBN: 978-3-95402-388-2
Preis: 59,00 €
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