Das Didaktische im Poetischen auflösen – Gottfried Keller
Ein Dichter und Politiker, ein erfolgreicher Novellenschreiber, ein Zweifelnder und an der Liebe Scheiternder, ein von finanziellen Nöten Gebeutelter und nach seinem Weg Suchender: Gottfried Keller (1819 – 1890) durchschritt viele Höhen und Tiefen in seinem Leben. Doch seine Mühen wurden zuletzt belohnt, er wurde erfolgreicher Politiker und anerkannter Schriftsteller und gilt als Meister der Novellendichtung und als einer der wichtigsten Vertreter des bürgerlichen Realismus.
Bekannt sind seine Novellen in „Die Leute von Seldwyla“, sein Roman „Martin Salander“ und der „Grüne Heinrich“, in dem er vieles aus seinem Leben verarbeitete. In der Liebe hatte der Schweizer kein Glück. Er erlebte mehrfach Zurückweisungen, und die Pianistin Luise Scheidegger, mit der er 1866 verlobt war, nahm sich wenige Wochen nach der Verlobung das Leben. Eine „stille Grundtrauer“ zieht sich durch das Leben von Gottfried Keller, der am 15. Juli 1890, heute vor 125 Jahren in Zürich starb.
Der Sohn eines Tischlermeisters, der starb, als Gottfried fünf Jahre alt ist, kommt mit zwölf Jahren auf eine Schule, die sein künstlerisches Talent fördert. Wegen rebellischen Verhaltens muss Keller allerdings mit 15 Jahren bereits die Schule verlassen und er entscheidet sich trotz der Bedenken seiner Mutter für den Beruf des Landschaftsmalers. Nach einer kleinen Erbschaft geht er 1840 an die Königliche Akademie der Künste in München, doch der Erfolg bleibt aus. Materielle Not und eine Krankheit zwingen ihn wieder zur Heimkehr nach Zürich. So bitter dies ist, so positiv wirkt es sich auf seine literarische Arbeit aus, der er sich mehr und mehr zuwendet. Beschrieben wird Keller in dieser Zeit als mit nur 1,40 Metern kleingewachsen und bebrillt, in einen schwarzen Radmantel gehüllt, bald träumerisch, zurückgezogen, bald von Einfällen sprühend.
In seinen Gedichten und Werken verarbeitet er die Kindheit und das Scheitern als Maler. Er entstehen die „Lieder eines Autodidakten“ (1845) und „Gedanken eines lebendig Begrabenen“ (1846). Und Keller streckt seine Fühler in politische Kreise aus. Keller schreibt Gedichte, vermischt mit politischen Gesängen, setzt sich für Volksfreiheit und gegen Tyrannei und Geistesknechtschaft ein. In seinen Werken führt er Eitelkeit und Selbstsucht vor. Er zeigt in „Kleider machen Leute“ (1874), wie sich Menschen von Äußerlichkeiten blenden lassen und wie Gefühle über Standesunterschiede siegen. So auch in dem gesellschaftskritischen Werk „Romeo und Julia auf dem Dorfe“. Seine Kritik verpackt er in detailreiche, fein formulierte Satire und in grotesken Witz. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern diplomatisch will Keller wirken. Er will, wie er schreibt, das „Didaktische im Poetischen auflösen wie Zucker oder Salz im Wasser“. Und er blickt bei allem ebenso realistisch wie ironisch auf die materiellen Umstände des bürgerlichen Lebens. Im Entwicklungsroman „Der grüne Heinrich“ erzählt Keller in der Figur des Malers Heinrich, der stets grün gekleidet ist, über sein eigenes Leben, über seine gescheiterten Versuche, von der Kunst zu leben und sein verzweifeltes Streben nach der erfüllenden Liebe.
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Ein Stipendium bringt ihn von Zürich nach Heidelberg, und 1850 zieht es ihn weiter nach Berlin. Doch auch dort kommt der schon über 30-Jährige nicht wesentlich finanziell voran. Dafür geht es literarisch weiter bergauf: Mit der ersten Fassung des „Grünen Heinrich“ im Gepäck kehrt er 1855 nach Zürich zurück. Der erste Teil des Novellenzyklus „Die Leute von Seldwyla“ wird 1856 gedruckt. Nach seinem Wechsel zurück in die Heimat ist er zwar ein anerkannter Schriftsteller, doch immer noch mittellos.
Das ändert sich endlich, als er ab 1861 die bestens bezahlte Stelle als Staatsschreiber des Kantons Zürich antritt und sich politisch engagiert. Keller wirkt an einer partiellen Reform mit, die den Wählern das Recht einräumt, per Volksinitiative die Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu verlangen. Zwischen 1860 und 1875 entsteht der zweite Teil der „Leute von Seldwyla“ mit den bekanntesten Novellen „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ und „Kleider machen Leute“. Außerhalb seiner Amtsgeschäfte wirkt Keller von 1863 bis 1865 als Sekretär des Schweizerischen Zentralkomitees für Polen, einer politisch-humanitären Hilfsorganisation. Von 1861 bis 1866 vertritt er seinen Heimatbezirk Bülach im Großen Rat. Im Juli 1876 legt er sein Amt nieder, um sich uneingeschränkt der Schriftstellerei zu widmen. Das tut er mit großem Erfolg bis er 1890 kurz vor seinem 71. Geburtstag in Zürich stirbt.
Eine philatelistische Anekdote ist in einem Brief nachzulesen:
Am 25. Februar 1860 schreibt Keller in Zürich an seinen Freund Auerbach über die Erzählung „Das Fähnlein der sieben Aufrechten“, die 1861 im Deutschen Volks-Kalender erscheinen wird. Der Brief enthält folgenden Zusatz: „Eine Briefmarke ist mir augenblicklich nicht zur Hand und ich kann nicht auf die Post laufen. Ich erwarte dafür Ihren nächsten Brief unfrankirt, damit wir die Weltordnung wenigstens im Kleinen noch retten. Sie haben übrigens einen Silbermorgen zu viel frankirt, zu meiner Zeit kostete ein Brief nach der Schweiz nur 4.“
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