In memoriam Albert Uderzo
Ein Zwerg mit Zaubertrank
Es muss im Jahr 1977 gewesen sein, da bekam der Verfasser von seinem Vater ein Heft mitgebracht: „Asterix auf Korsika“ hieß es und eröffnete einem kleinen Jungen eine neue Welt. Sicher, Comics kannte er schon, Micky Maus, Fix und Foxi, Bessy und dergleichen, aber dieser kleine Gallier war dann doch etwas ganz Besonderes. Das konnte sogar ein kleiner Junge merken, obwohl er natürlich gar nicht in der Lage war, die vielen Anspielungen zu verstehen. Da waren erst einmal die beiden Hauptfiguren, der kleine clevere Asterix und der starke, nicht ganz so clevere Obelix, die Zeit, die Umgebung, die tollen Geschichten, der subtile Humor und natürlich die Zeichnungen.
Erfunden wurde Asterix im Jahr 1959, als der Herausgeber der französischen Comiczeitschrift „Pilote“ den Texter René Goscinny und den Zeichner Albert Uderzo mit der Suche nach einer einheimischen Antwort auf die Flut amerikanischer Comics beauftragte. Die beiden setzten sich zusammen und landeten schließlich bei den Galliern, und „der einzige wirkliche Gallier, der uns einfiel, war Vercingetorix. Die Namen unserer Gallier sollten also, wie seiner auch, auf -ix enden- Listig wie wir waren, wollten wir unserer Hauptfigur einen Namen geben, der mit A beginnt, um bei allen alphabetischen Aufstellungen immer ganz oben zu stehen. Wir entschieden uns für Asterix“, erinnerte sich Uderzo später. Doch wie hatten sich die beiden Schöpfer dieser so immens erfolgreichen Figur, die am 29. Oktober 1959 schließlich im „Pilote“ das Licht der Welt erblickte, überhaupt gefunden?
Der Szenarist
René Goscinny, dieser liebenswürdige und überaus spritzige Autor, wird am 14. August 1926 in Paris geboren, zieht aber im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern nach Buenos Aires, wo er auch sein Abitur macht. Im Alter von 17 Jahren stirbt sein Vater, woraufhin sich René zunächst als Hilfsbuchhalter und dann als Zeichner in einer Werbeagentur versucht, um die Familie zu unterstützen. 1945 reist er auf Einladung eines Onkels nach New York. Eigentlich will er für Walt Disney arbeiten, aber er findet zunächst überhaupt keine Arbeit. Goscinny: „In New York arbeitslos zu sein, ist für einen kurzen Augenblick reizvoll. Jedenfalls nutzte ich es aus, um ein Experiment zu machen: Wie lange kann man mit einem Kaffee und einem hart gekochten Ei leben? Nun, etwa zwanzig Minuten.“
1946 leistet Goscinny seinen Militärdienst in Frankreich ab und kehrt danach unverdrossen in die USA zurück, wo er das Glück hat, zwei Zeichner des späteren „MAD“-Magazins kennen zu lernen und als Assistent für sie zu arbeiten. Als Zeichner ist er allerdings nicht eben sonderlich begabt, dafür sind seine Texte großartig, und: „Als mir einer der ehrenwerten Alten sagte: ‚Der Beruf des Szenaristen? Das kann doch der letzte Idiot schaffen‘, verstand ich, dass ich meinen Weg gefunden hatte.“ Noch in den USA lernt er den Zeichner Morris kennen, für den er später, ab 1955, einige Abenteuer von „Lucky Luke“ schreibt, und macht sich im Jahr 1950 wieder nach Europa auf, wo es im Jahr 1951 zur ersten Begegnung mit Albert Uderzo kommt.
Der Zeichner
Uderzo, geboren am 25. April 1927 in der Nähe von Reims mit sechs Fingern an jeder Hand und auch noch farbenblind, entdeckt schon früh seine Liebe zum Zeichnen. Kaum kann er einen Stift halten (seine Eltern hatten die überflüssigen Finger bald entfernen lassen), beginnt er auch schon, wie wild zu zeichnen. Bereits mit 14 Jahren wird der Autodidakt, der nie eine Kunstakademie besucht hat, von einem Pariser Verlag engagiert, um für ein Jugendmagazin zu zeichnen, später arbeitet er für französische und belgische Zeitungen, Illustrierte und Agenturen und hält als eine Art zeichnender Reporter für „France Dimanche“ das Tagesgeschehen fest. Im Winter 1951 kommt es schließlich in Paris zum ersten Treffen von Goscinny und Uderzo. Beide sind sich sofort sympathisch, werden schnell enge Freunde und beschließen, gemeinsam Comics zu machen. Der erste Versuch, ein Indianer namens „Umpah-Pah“ wird zwar erst 1958 veröffentlicht, aber vorher entsteht noch ein weiterer, erfolgreicher Comic-Held namens „Pitt Pistol“.
Uderzo zeichnet währenddessen noch für den Szenaristen Jean-Michel Charlier eine Pilotenserie, während Goscinny mit Jean-Jacques Sempé die wunderbare Kinderbuchserie „Der kleine Nick“ beginnt und sich weitere Abenteuer für „Lucky Luke“ ausdenkt. Im Jahr 1956 gründen Goscinny und Uderzo ein Pressebüro nebst angeschlossener Werbeagentur und die Geschäfte laufen prächtig. Allerdings fühlen sich beide durch die Arbeit an Werbecomics und die Vorstellungen der Auftraggeber etwas eingeengt, es wird Zeit für etwas Neues. Das kommt auch, und zwar im Jahr 1959, als Goscinny als Chefredakteur und Uderzo als Art Direktor der neu gegründeten Jugendzeitschrift „Pilote“ tätig werden. Eigentlich hatten sie schon die Idee für eine neue gemeinsame Serie dafür entwickelt, die sich um „Reineke Fuchs“ drehen sollte, ein anderer war ihnen damit allerdings um wenige Monate zuvor-gekommen. Es braucht also eine neue Idee, irgend etwas Französisches.
Womit man schließlich bei den Galliern landet. Während Uderzo für einen Muskelmann als traditionellem Helden plädiert, setzt sich Goscinny mit seiner Idee eines Antihelden durch, der ebenso klein wie gerissen ist. Goscinny: „Als wir Asterix erfanden, sagten Marktforscher und andere Meinungsforscher folgendes: Der Held muss jung und schön sein, damit der Leser sich mit ihm identifizieren kann, und es müssen Probleme der heutigen Zeit behandelt werden. Ich glaube nicht an Marktforschung.“ Womit er Recht behielt. Dem mutigen und eigensinnigen Asterix wird der etwas tapsige und schnell beleidigte Obelix an die Seite gestellt und in wenigen gemeinsamen Sitzungen schnell das dazugehörige Universum entwickelt.
Gegner der durch ihren Zaubertrank unbesiegbaren Gallier sind natürlich die Römer und für den Anfangssatz „Ganz Gallien ist von den Römern besetzt“ hat sich Goscinny wohl an seinen Lateinunterricht erinnert. Als das neue „Pilote“ erscheint, werden bereits am ersten Tag 300 000 Hefte verkauft. Obwohl die ersten Zeichnungen Uderzos im Vergleich zu seinen späteren aus den Glanzzeiten von Asterix noch recht unbeholfen sind und auch die Geschichte noch wenig von der späteren Hochform Goscinnys besitzt, wird Asterix ein Riesenerfolg und schon 1961 erscheinen die Abenteuer nicht mehr als Fortsetzungen in „Pilote“, sondern als längere Geschichten in Form von Comic-Alben, deren Auflage recht bald die Millionengrenze übersteigt. Der Dargaud-Verlag übernimmt schließlich die Zeitschrift „Pilote“ und dessen Chefredakteur Goscinny, während Uderzo wieder freiberuflich zeichnet, aufgrund des großen Erfolges allerdings fast nur noch „Asterix“, während Goscinny noch „Den kleinen Nick“, „Lucky Luke“ und den Großwesir „Isnogud“ mit seinen brillanten Ideen versorgt. 1965 sind die Comics in Frankreich dann bereits so berühmt, dass der erste Satellit, den die Grande Nation ins All schießt, selbstverständlich auf den Namen „Asterix“ getauft wird. Nach zwei Tagen stellt dieser zwar den Dienst ein, umkreist aber immer noch die Erde.
Kurz zuvor hat Asterix auch seinen ersten Auftritt hierzulande, einen ziemlich missglückten allerdings. Rolf Kauka, der Erfinder von „Fix und Foxi“, schrieb so „ein eher dunkles Kapitel deutscher Comic-Historie“, wie ein Fachmann später befand. Kauka hatte als erster die Lizenz für die in Frankreich und Belgien schon sehr erfolgreiche Serie bekommen, bearbeitete für sein Magazin „Lupo“ aber die Texte. Aus Asterix und Obelix wurden so die Germanen Siggi und Babarras, die in „Bonnhalla“ wohnten und gegen alliierte Besatzer kämpften. Auf diese ebenso rechtskonservative wie deutschtümelnde Version erfolgte sofort eine Abmahnung der „Asterix“-Erfinder, Kauka brachte aber dennoch insgesamt vier „Siggi“-Abenteuer heraus, bevor ihm die Lizenz entzogen wurde.
Ab Oktober 1967 durfte dann der Stuttgarter Ehapa-Verlag „Asterix“ herausgeben, zunächst innerhalb der Zeitschrift „Mickyvision“, dann als eigene Reihe in Albenform, allerdings nicht in der originalen Reihenfolge. Dafür verpflichtete der Verlag mit Gudrun Penndorf eine kongeniale Übersetzerin, die bis Band 29 verantwortlich war: „Zum deutschen Erfolg von Asterix und zur Bereicherung der deutschen Sprache trug sie mindestens genauso viel bei wie die legendäre Erika Fuchs bei Donald Duck“, so die Tageszeitung „Die Welt“. Penndorf war es auch, die sich dafür einsetzte, die zahlreichen lateinischen Zitate in Anmerkungen zu übersetzen, schließlich steht hierzulande nicht in jedem Haushalt ein spezielles Wörterbuch zur Verfügung, in dem sich die Zitate nachschlagen lassen.
Überhaupt die Zitate: Man darf wohl mit Fug und Recht behaupten, dass Asterix mehr für die Verbreitung von Zitatklassikern wie „alea iacta est“ oder „Vae victis“ getan hat, als noch so viel Lateinstunden es vermochten…
Ab 1968, nach Erscheinen des mittlerweile 14. Abenteuers „Asterix und der Arvernerschild“ gibt Uderzo das Zeichnen anderer Serien auf und widmet sich nur noch Asterix, im gleichen Jahr erscheint mit „Asterix und Kleopatra“ auch der zweite Zeichentrickfilm und später gründen Goscinny und Uderzo sogar noch ein eigenes Trickfilmstudio, das den allerdings nicht sonderlich überzeugenden und nicht auf einem der Alben, sondern auf einer eigenen Geschichte basierenden „Asterix erobert Rom“ herausbringt. Dem Erfolg tut auch dies keinen Abbruch: Der Film wird 1975 erfolgreichster Film des Jahres in Deutschland.
Bis heute ist Asterix in mehr als 100 Sprachen übersetzt worden, die Gesamtauflage der Alben dürfte mittlerweile bei ungefähr 350 Millionen liegen, mindestens 100 Millionen davon sind allein in Deutschland verkauft worden. Seit Anfang der 1970er-Jahre steigen die Auflagen von Album zu Album, die Zeichnungen werden immer besser, es hagelt Auszeichnungen und Orden, Asterix ist mittlerweile in ganz Europa bekannt, seine Schöpfer sind berühmt. Es hätte immer so weiter gehen können.
Doch dann geht René Goscinny zum Arzt. Bei seiner Frau hatte man Brustkrebs diagnostiziert, was ihn immens belastet, die Zigaretten hatte man ihm aufgrund einer Angina pectoris verboten, jetzt soll er einen Belastungstest machen.Am 5. November 1977 sitzt er bei einem Kardiologen auf einem Ergometer und soll in die Pedale treten. Goscinny klagt über Schmerzen, soll aber weiter treten. Plötzlich bricht er zusammen. Herzstillstand. Im Alter von 51 Jahren ist der Vater von Asterix gestorben. Uderzo: „Das war für mich ein gewaltiger Schock. Ich hatte mit René 26 Jahre zusammengearbeitet, davon 18 an Asterix. Sein Verlust hat mich damals tief getroffen, ich war mit ihm gestorben – ich war auch tot. Aus dieser Trauer heraus sagte ich damals: Mit Asterix ist Schluss. Meine Leser waren damit nicht einverstanden, sie forderten: ‚Sie haben nicht das Recht aufzuhören, denn Asterix lebt nur dank uns, die ihn all die Jahre immer am Leben gehalten haben.’“
Für das 24. Album „Asterix bei den Belgiern“ hatte Goscinny noch die Vorlage geliefert, jetzt macht Uderzo alleine weiter. Er gründet, auch aufgrund vorheriger Differenzen mit Dargaud, einen eigenen Verlag und beginnt mit der Arbeit an „Der große Graben“. Problem dabei: Seine Zeichnungen sind zwar großartig, aber Goscinnys Qualität als Texter erreicht er nie, bei weitem nicht. Trotz der sinkenden Qualität steigen die Auflagen aber weiterhin, wenn die Abstände zwischen den Alben auch immer größer werden. Irgendwann verzichtet man in Deutschland auch auf Gudrun Penndorfs Dienste, die humoristische Qualität der irgendwann geradezu unterirdischen Vorlagen hätte sie allerdings wohl auch nicht retten können. Dem Erfolg von Asterix tut das alles keinen Abbruch, 1989 eröffnet der Vergnügungspark „Parc Asterix“ vor den Toren von Paris seine Pforten und 1999 kommt – mit Gerard Depardieu als Obelix – sogar die erste Realverfilmung in die Kinos. Im gleichen Jahr hat der kleine Gallier anlässlich seines 40. Geburtstags auch seinen ersten philatelistischen Auftritt: Im Block und als Markenheftchen zum französischen Tag der Briefmarke.
Und im Jahr 2013 hat dann auch Albert Uderzo ein Einsehen: Hatte er sich zuvor stets geweigert, Asterix aus den Händen zu geben und sogar testamentarisch verfügt, dass es ohne ihn keine neuen „Asterix“-Abenteuer geben wird, legte er nun seine Arbeit in die Hände zweier junger Kollegen. Mit erfreulichem Ergebnis: Die Zeichnungen sind fast wie von Uderzo selbst und die Geschichte, „Asterix bei den Pikten“, atmet doch ein wenig vom Geiste Goscinnys, wenngleich wohl niemand je an seine Fähigkeiten heranreichen wird. Denn das war es auch immer, was diese Comics – neben den liebenswerten Charakteren – ausgemacht und auch für Erwachsene so interessant gemacht hat: Der subtile Humor, das Spiel mit landestypischen Klischees und menschlichen Unzulänglichkeiten.
Und was den historischen Hintergrund angeht: Historiker, Philologen und Archäologen haben sich seit Anfang des Jahrtausends ausgiebig mit den „Asterix“-Bänden beschäftigt: Das wissenschaftliche Fundament, auf das Goscinny seine Geschichten gestellt hatte, ist ziemlich fest und tragfähig. Und wenn Sie einmal nach Korsika fahren, nehmen Sie den entsprechenden Asterix ruhig mit, eine passendere Urlaubslektüre werden Sie kaum finden…
Am 24. März 2020 ist Albert Uderzo in Neuilly an einem Herzinfarkt gestorben. Er wurde 92 Jahre alt.
Diese Geschichte erschien zuerst im August 2015 in der Deutschen Briefmarken-Zeitung.
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