Ein Mann der Widersprüche: Rousseau
„Das einzige Mittel, den Irrtum zu vermeiden, ist die Unwissenheit“
(Jean-Jacques Rousseau)
Heute vor 300 Jahren wurde in Genf der Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist Jean-Jacques Rousseau geboren. Und bis heute vermag der widersprüchliche und rebellische (zwei seiner Werke wurden von den Behörden verboten…) Geist dieses Mannes zu faszinieren und Denkanstöße zu vermitteln. Berühmt wurde Rousseau 1749 durch seine Antwort auf die Preisfrage der Akademie von Dijon, „ob die Fortschritte in Wissenschaften und Künsten zu einer Läuterung der Sitten“ beigetragen hätten. „Nein“, so Rousseau, denn „in dem Maß, in dem unsere Wissenschaften und Künste zur Vollkommenheit fortschritten, sind unsere Seelen verderbt worden.“ Zivilisationskritisch meldete er sich auch in der Debatte um das Erdbeben in Lissabon von 1755, bei dem etwa 100 000 Menschen starben, zu Wort:
Hätten die Menschen solche Städte nicht gebaut, wären die Schäden geringer ausgefallen, schrieb er an Voltaire.
Gern wird Rousseaus Wirken auf den Ruf „Zurück zur Natur“ reduziert, dabei ging es ihm eher darum, dass die Menschen eine Form des gemeinsamen Zusammenlebens finden müssten, um die Mängel der Natur zu überwinden. Als Lösung präsentierte er den „Gesellschaftsvertrag“, dessen Grundlage der „Gemeinwille“ ist, der aber nicht der Summe der Einzelinteressen entspreche, sondern absolut sei. Zu diesem Gemeinwillen müsse der Einzelne bei Bedarf auch gezwungen werden, was letztendlich bedeute, „dass man ihn zwingt, frei zu sein“. Ein Gedanke, der in der Französischen Revolution fatale Folgen hatte. Dennoch gilt Rousseau als ein Wegbereiter von moderner Demokratie und Demokratietheorie, und viele seiner Ideen werden auch heute noch aufgegriffen, etwa durch den Versuch der „Liquid Democracy“ bei der Piratenpartei. Rousseaus Frauenbild wirkt allerdings erschreckend: Die Gedanken der Frauen sollten sich seiner Meinung nach beschränken „auf angenehme Erkenntnisse, deren Gegenstand nur das Geschmackvolle ist; denn was die Werke des Geistes anbetrifft, so übersteigen sie ihr Fassungsvermögen…“
Segensreicher wirkte er als „Erfinder der Kindheit“ und moderner Pädagoge: In seinem Erziehungsroman „Émile“ forderte er, dass Kinder in natürlicher Umgebung an den Gegenständen dieser Welt selbst lernen und frei von jeder Theorie bleiben sollten, was noch heute in einigen reformpädagogischen Ansätzen vertreten wird. Zudem rechnete er schonungslos mit der Praxis ab, Kinder durch Zwang und Strafen zu kleinen Erwachsenen zu erziehen, sondern plädierte für frühes Musizieren, handwerkliche Tätigkeiten und das Einüben von Mitgefühl. Allerdings muten Rousseaus Ideen zu einer kindgerechten Erziehung etwas seltsam an, wenn man bedenkt, dass er seine eigenen fünf Kinder in ein Waisenhaus gab. Eine zu der Zeit durchaus verbreitete Praxis, die sein Antipode Voltaire allerdings scharf kritisierte. Mit Voltaire geriet Rousseau ohnehin immer wieder aneinander, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die beiden großen Denker nun im Pariser Pantheon Seite an Seite ruhen…
Südosteuropa 2022 (E 8)
ISBN: 978-3-95402-388-2
Preis: 59,00 €
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