„Lasst sie nach Berlin kommen“

Rudolf Gerhardt entwarf, Egon Falz stach die Gedenkmarke zu Ehrn John F. Kennedys, die motivgleich in Berlin und im Bund erschien, MiNr. 241 und 453.

Rudolf Gerhardt entwarf, Egon Falz stach die Gedenkmarke zu Ehren John F. Kennedys, die motivgleich in Berlin und im Bund erschien, MiNr. 241 und 453.

23 Flaschen Whiskey, 402 Packungen Zigaretten, 987 Flaschen Bier, 690 Würstchen, 4540 Brötchen – rund 1500 Journalisten zu versorgen, zählt zu den logistischen Herausforderungen. Wir können heute nicht mit Gewissheit sagen, ob die Zahlen die eingekauften oder die konsumierten Mengen wiedergeben. Die krummen Werte sprechen aber für Letzteres. Der Historiker Andreas Daum benennt sie in einem Buch, das von einem Ereignis erzählt, dem die Journalisten zweifellos ihr Hauptaugenmerk zugewandt hatten.
Das Datum, der 26. Juni 1963, war bewusst gewählt. Am 24. Juni 1948 hatten die Sowjets die Berliner Blockade begonnen. Tags drauf befahl Lucius Dubignon Clay, Militärgouverneur der Amerikanischen Zone, die Einrichtung einer Luftbrücke, nachdem sein Vorschlag, die Blockade mit einem Panzerzug zu durchbrechen, von US-Präsident Dwight David Eisenhower abgelehnt worden war. Da die Westalliierten eine Blockade Berlins einkalkuliert hatten, konnten bereits am 26. Juni die ersten Flugzeuge starten. Zum 15. Jahrestag besuchte dann John Fitzgerald Kennedy Berlin.
Keineswegs war also der Bau der Berliner Mauer knapp zwei Jahre zuvor der Anlass für die Reise. Der 13. August 1961 hatte die westliche Welt zwar schockiert, doch sah insbesondere Kennedy keinen Grund zum Eingreifen. Da die Rechte der Westalliierten in Berlin durch den Mauerbau formal nicht angetastet waren, ließen sie die Sowjets und ihre Vasallen gewähren. Zur Konfrontation kam es erst am 27. Oktober 1961, als die SED-Führung den freien Zugang der Westalliierten in den sowjetischen Sektor einschränken wollte. Über Stunden standen sich amerikanische und sowjetische Panzer am Checkpoint Charlie gegenüber – die Kommandeure vor Ort hatten ausdrücklich den Befehl, im Ernstfall zu schießen.

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Insgesamt standen die Zeichen der Zeit aber auf Entspannung. Gleich nach Kennedys Amtsantritt am 20. Januar 1961 war daher die Entscheidung gefallen, in offiziellen Papieren nicht mehr von der „deutschen Wiedervereinigung“, sondern von der „Selbstbestimmung für Deutschland“ zu sprechen. Dass die bolschewistischen Machthaber „Selbstbestimmung“ anders auslegten als die freie Welt, wussten Kennedy und seine Berater bestens. Als dann im April 1961 Bundeskanzler Konrad Adenauer zum Staatsbesuch in Washington weilte, setzten sich beide Seiten laut Schlusskommuniqué nur noch für den Erhalt der Freiheit in den Berliner Westsektoren ein. Von Freiheit für den Sowjetsektor und die DDR war keine Rede mehr. Schließlich verkündete Kennedy am 25. Juli in einer Fernsehansprache die drei Grundsätze – Three Essentials – zur Berlin-Frage:

1989 gedachte Berlin des Endes der Luftbrücke vor 40 Jahren. Das Paar weist eine Bogenzählnummer am Oberrand auf, MiNr. 842.

1989 gedachte Berlin des Endes der Luftbrücke vor 40 Jahren. Das Paar weist eine Bogenzählnummer am Oberrand auf, MiNr. 842.

1. Die Westalliierten haben das unantastbare Recht auf Anwesenheit in ihren jeweiligen Sektoren.
2. Die Westalliierten haben ein Recht auf ungehinderten Zugang nach Berlin.
3. Die Westalliierten wahren die Sicherheit und die Rechte der Bürger in den Westsektoren Berlins.
Der Sowjetsektor und die DDR fanden keine Erwähnung.
Gut 15 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass die Konfrontation der Blöcke nicht vorwärts führte, höchstens die Gefahr eines neuerlichen Weltkrieges heraufbeschwor. Die Kuba-Krise als letzter großer Konflikt stand zwar noch bevor. Die Zeichen standen aber auf Entspannung.
Nicht alle sahen das. So versuchte Kennedy am zweiten Tag seines Besuchs in Deutschland – er begann am 23. Juni in Köln – Adenauer zu einer Anerkennung der polnischen Westgrenze zu bewegen. Spätestens seit Charles de Gaulles 1959 erhobener Forderung, Deutschland dürfe „die gegenwärtigen Grenzen im Westen, Osten, Norden und Süden nicht infrage“ stellen, wusste der Bundeskanzler, dass auch die Westalliierten die Oder-Neiße-Linie nicht antasten würden. Dennoch lehnte Adenauer Kennedys Ansinnen ab. Das deutsch-amerikanische Verhältnis konnte dies allerdings nicht beeinträchtigen, da Kennedy wohl mit Adenauers Reaktion gerechnet hatte.
Wie die meisten Verfechter der Entspannungspolitik ging Kennedy nämlich durch und durch realistisch vor. Die von der Sowjetunion ausgehenden Gefahren sah er ebenso deutlich wie den Willen Nikita Sergejevitsch Chruschtschovs, Konflikte friedlich zu lösen und in den wirtschaftlichen Aufbau statt in das Militär zu investieren. Feinfühlig registrierte er aber auch, dass er die Berliner mit dem ursprünglich geplanten Werben, auf den Ostblock zuzugehen, enttäuschen würde, und strich kurzentschlossen zahlreiche Passagen aus dem Redemanuskript. Damit irritierte er zwar den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt und dessen Berater Egon Bahr – Bahr sprach keine drei Wochen später am 15. Juli in der Evangelischen Akademie Tutzing erstmals vom „Wandel durch Annäherung“. Kennedys Rede wirkte aber so durchschlagend, dass sich Chruschtschow gezwungen sah, wenige Wochen später der DDR einen offiziellen Besuch abzustatten.
Gleich zweimal trug Kennedy die berühmten Worte „Ich bin ein Berliner“ auf Deutsch vor. Im Anfangsteil seiner Rede brachte er den Vergleich mit dem alten Rom: „Two thousand years ago the proudest boast was: ‚Civis Romanus sum.‘ Today, in the world of freedom, the proudest boast is: ‚Ich bin ein Berliner.‘“ – Vor zweitausend Jahren war der stolzeste Satz: ‚Ich bin ein Bürger Roms.‘ Heute, in der Welt der Freiheit, ist der stolzeste Satz: ‚Ich bin ein Berliner.‘“ Danach brandete Jubel auf, der in Sprechchören mündete. Leicht ironisch dankte Kennedy seinem Übersetzer.
Im Folgenden sprach Kennedy wenig diplomatisch über die Weltpolitik. Unter anderem rief er alle Leute, die im Kommunismus die Zukunft sahen, zu einem Besuch Berlins auf. Die Aufforderung, „Lasst sie nach Berlin kommen“, trug er ebenfalls auf Deutsch vor. Dies geriet weitgehend in Vergessenheit. In den Schlussworten wiederholte er seine Aussage vom Anfang, wenn auch mit einem anderen Vergleich: „All free men, wherever they may live, are citzizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words: ‚Ich bin ein Berliner!‘“ – Alle freien Menschen, wo immer sie leben mögen, sind Bürger Berlins, und deshalb bin ich als freier Mensch stolz auf die Worte: ‚Ich bin ein Berliner!‘“

Helden der Freiheit porträtierte die US-Post in den fünfziger und sechziger Jahren. Unter ihnen Ernst Reuter, MiNr. 763.

Helden der Freiheit porträtierte die US-Post in den fünfziger und sechziger Jahren. Unter ihnen Ernst Reuter, MiNr. 763.

Zum zweiten Mal trug sich damit ein Politiker mit einer Ansprache zur Berliner Luftbrücke in das Buch der Rhetorik ein. Bereits am 9. September 1948 hatte Ernst Reuter vor dem Reichstagsgebäude den Durchhaltewillen der Berliner bekräftigt und den Kampf um die Freiheit zur Angelegenheit der ganzen Welt gemacht: „Völker der Welt, schaut auf Berlin! Und Volk von Berlin, sei dessen gewiss, diesen Kampf , den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen!“


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Authored by: Torsten Berndt

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