100. Todestag von Graf von Zeppelin: Der Traum vom Fliegen
Was muss das vor eineinhalb Jahrhunderten für ein ehrfurchtgebietendes Erlebnis gewesen sein? Ein Heißluftballon erhebt sich sachte in den Himmel über den Weiten Nordamerikas. Er soll militärische Aufklärungsarbeit leisten. Während er dieser Aufgabe mehr oder weniger nachkommt, geht ein jahrtausendealter Traum der Menschheit in Erfüllung. Was für ein militärischer Fortschritt und damit ein erheblicher und nicht zu unterschätzender technologischer Vorteil. Eine neue Dimension kann genutzt werden, um dem Feind voraus zu sein.
Militärbeobachter im Amerikanischen Bürgerkrieg
Ein junger Deutscher ist in seiner Funktion als Militärbeobachter des nordamerikanischen Bürgerkrieges Augenzeuge bei diesem außergewöhnlichen Ereignis. Er beobachtet erstmals den Aufstieg eines Heißluftballons. Als es ihm gelingt, dessen Erfinder John H. Steiner zu überreden, ihn am 19. August 1863 mit diesem Ballon aufsteigen zu lassen, ist die Freude unbeschreiblich. Die Vermutung liegt nicht allzu fern, dass diese hautnahe Erfahrung dieses Technologiesprungs seinen künftigen Lebensweg prägt.
Bei dem jungen Mann handelt es sich um den 1838 in Konstanz geborenen Ferdinand Graf von Zeppelin. Der Sohn des württembergischen Hofmarschalls Friedrich Jerôme Wilhelm Karl Graf von Zeppelin (1807?1886) und dessen aus der Genfer Fabrikantenfamilie Macaire stammenden Ehefrau Amélie Françoise Pauline (1816?1852) kehrt zurück aus Amerika und absolviert in den Folgejahren eine sicher auch seinen Vater beeindruckende militärische Karriere: 1866 nimmt er am Deutschen Krieg (Juni bis Oktober 1866) teil. König Karl von Württemberg ernennt ihn später zu seinem Adjutanten und befördert ihn auch noch zum Hauptmann. Er steigt in den Großen Generalstab in Berlin auf, wo er 1869 vorübergehend als Erzieher und Berater des Prinzen Wilhelm von Württemberg, dem späteren König von Württemberg, fungiert. 1888 wird er zum General und vertritt das Königreich Württemberg von 1885 bis 1890 als Gesandter beim Deutschen Bundesrat in Berlin.
Der Schirlenhofritt
Eine Begebenheit von herausragender Bedeutung ereignet sich wenige Tage nach dem Beginn des Deutsch-Französischen Krieges (Juli 1870 bis Januar 1871): Am 24. Juli 1870 unternimmt Ferdinand von Zeppelin den sogenannten „Schirlenhofritt“ und riskiert sein Leben bei einem wagemutigen, später legendären Spähritt hinter die feindlichen Linien. Ihm waren im Laufe der Belagerung von Paris bereits mehrfach französische Aufklärungsballons aufgefallen. Er vermutet, deren Einsatz diene auch dem Nachrichtenaustausch. Da die Ballons jedoch häufig vom Ziel abzukommen scheinen, stellt er Überlegungen zu einer lenkbaren Alternative an. Heinrich von Stephan, der Begründer des Weltpostvereins, feuert von Zeppelins Forscherdrang durch seinen im Januar 1874 gehaltenen Vortrag zum Thema „Weltpost und Luftschifffahrt“ weiter an. In seinem Tagebuch beschäftigt sich der Graf am 25. April desselben Jahres mit Ideen zu Gas- oder Heißluftballons. Der vermutlich in Amerika gezündete Funke, verstärkt von den einprägsamen Eindrücken, wächst zu einem lodernden Forscherfeuer in dem studierten Maschinenbauer, Chemiker und Staatswissenschaftler.
Dienstzeit beendet
Gedanken, die fortan immer mehr seiner Zeit in Anspruch nehmen und die Idee seines freiwilligen Ausscheidens aus der Armee in ihm reifen lassen. Dennoch dauert es noch bis Ende 1890, als er seinen Abschied vom Militärdienst nimmt. Die zurückgewonnene Freiheit nutzt er, um sich ganz seiner neuen abenteuerlich-luftigen Leidenschaft zu widmen. Also vertieft er sich intensiv in die Konstruktion von Luftschiffen. Trotz der prinzipiellen Ablehnung seiner Idee durch die militärische Sachverständigenkommission, die die Konstruktion eines „lenkbaren Luftfahrzeugs“ für „undurchführbar“ hält, erteilt das Patentamt am 13. August 1898 ein rückwirkendes Patent zum 31. August 1895. Da das Militär so gar keine Verwendungsmöglichkeit für ein wie auch immer geartetes Flugzeug sieht und auch Kaiser Wilhelm II. dem Projekt von Zeppelin sehr skeptisch gegenüber steht, bleibt dem Visionär nur die Gründung eines Privatunternehmens. Mit 800000 Mark Startkapital gründet er die „Gesellschaft zur Förderung der Luftschiffahrt“ bei Friedrichshafen am Bodensee. Für einen vielversprechenden Start sorgt der Erwerb des Vermächtnisses des österreichisch-ungarischen Erfinders David Schwarz. Seine Witwe Melanie Schwarz verkauft von Zeppelin Entwürfe und Patente zum Projekt „Starrluftschiff“, an dem ihr Mann vor seinem Ableben jahrelang gearbeitet hatte und das zehn Monate nach seinem Tod – am 3. November 1897 – über dem Tempelhofer Feld in Berlin aufstieg, leider aber kurz darauf wieder notlanden musste und zu Bruch ging.
Neben diesem Starrluftschiff, das durch ein festes Gerüst im Auftriebskörper charakterisiert ist, wird auch an der Entwicklung von Prallluftschiffen gearbeitet. Der französische Erfinder Henri Giffard beispielsweise absolviert bereits im Jahr 1852 eine 27 Kilometer lange Strecke mit einem 44 Meter langen bemannten, von einer kleinen Dampfmaschine angetriebenen Ballon.
Arbeitstitel „LZ 1“
Angestachelt von diesen Fortschritten seiner Vorkämpfer und seinen eigenen Ideen gibt von Zeppelin „seinem Kind“ natürlich auch einen Namen: Unter dem Arbeitstitel „LZ 1“ beziehungsweise „Luftschiff Zeppelin“ soll das erste lenkbare, starre und vor allem flugfähige Luftschiff entstehen. Gemeinsam mit den Ingenieuren Theodor Kober (1865? 1930) und Ludwig Dürr (1878? 1956) verfolgt er unermüdlich und bis an den Rand der Erschöpfung seinen Traum vom Bau eines eigenen Flugapparates. Ein zweifellos ambitioniertes Projekt, das eine aufwändige technische Infrastruktur bedingt: In einer futuristisch anmutenden, 140 Meter langen und 30 Meter hohen schwimmenden und drehbaren Montagehalle wächst das Projekt. Dieser Produktionsstandort in der Bodenseebucht von Manzell, der damals viele Menschen sprachlos staunen lässt, soll zur Geburtsstätte eines 128 Meter langen, mit 11000 Kubikmetern Wasserstoff gefüllten und von zwei Daimler-Verbrennungsmotoren (je 10,4 Kilowatt Leistung) über vier Propeller angetriebenen Flugkörpers mit Aluminiumskelett werden.
Premierenfahrt
Mit solchen Möglichkeiten und qualifizierten Fachleuten ausgestattet, nähert sich die Mannschaft um von Zeppelin dem großen Ziel immer weiter an. Schließlich scheint der Durchbruch greifbar nah: Am 2. Juli 1900 blicken 12000 Schaulustige demütig und respektvoll gen Himmel, als der LZ 1 mit seinen 11,7 Metern Durchmesser 400 Meter über dem Bodensee seine ersten Minuten in der Luft absolviert. Doch aufgrund eines Defektes in der Trimmung nach nur 18 Minuten muss das noch junge Luftschiff notlanden. Desillusioniert durch zwei weitere Testfahrten, mit denen von Zeppelin keine Interessenten gewinnen kann, verschrottet er den LZ 1 und liquidiert die Gesellschaft zur Förderung der Luftschifffahrt, deren Kapital aufgebraucht ist.
Auch der nächste Versuch – folgerichtig „LZ 2“ genannt – ist eine Bruchlandung: Dank der Unterstützung durch das deutsche Volk mithilfe einer eigens eingerichteten Lotterie, schickt von Zeppelin das weiterentwickelte Luftschiff auf seine Reise. Die Jungfernfahrt des LZ 2 findet am 17. Januar 1906 aber ein jähes Ende: Er treibt ab und muss ebenfalls notlanden. Zu allem Überfluss wird er in der Folgenacht durch einen Orkan zerfetzt.
Sehr bitter, aber wer denkt, es folge Resignation, der irrt sich. Der besessene Luftfahrtpionier und sein Team sehen keinen Grund zur Aufgabe. Die Überreste der beiden Luftschiffe sowie ein großes Teil des Familienvermögens ermöglichen bereits knapp vier Jahre später einen neuerlichen Versuch. Der am 9. Oktober 1906 aufgestiegene LZ 3 erfüllt alle Hoffnungen! Endlich ist sogar auch die Militärführung überzeugt. Nach 45 Fahrten und 4398 absolvierten Kilometern erwirbt die Militärverwaltung das Luftschiff. Der langersehnte Meilenstein in von Zeppelins Konstrukteursleben ist endlich gesetzt.
Schnell folgt der LZ 4 und kommt ebenfalls für die Landesverteidigung zum Einsatz. Doch wieder einmal macht ein Unwetter einen Strich durch die Rechnung: Am 5. August 1908 reißt eine Sturmbö das vertäute Luftschiff los und es brennt restlos aus. Was dann kommt, ist kaum zu glauben: eine unerwartete Hilfsaktion, bei der sechs Millionen Mark für den inzwischen populären Luftschiffentwickler gespendet werden. Dank dieser großen Summe kann die „Luftschiffbau Zeppelin GmbH“ entstehen. Ferdinand Graf von Zeppelin ist inzwischen 70 Jahre alt und mehrfach ausgezeichnet. Am 10. November 1908 erhält er den „Hohen Orden vom Schwarzen Adler“ aus der Hand von Kaiser Wilhelm II.
Als weltweit erste Luftschiff-Reederei befördert die „Deutsche Luftschiffahrts AG“ (DELAG) von ihrer Gründung im Jahr 1909 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges über 34000 Personen. Sieben Luftschiffe führen 1588 Fahrten durch – obwohl vier Luftschiffe bei Unfällen zerstört werden, kommen keine Passagiere zu Schaden. Die verbliebenen Luftschiffe gehen mit Beginn des Krieges in Militärbesitz über. Viele weitere werden gebaut, denn mit ihnen lassen sich große Bombenlasten transportieren und abwerfen. Die lange Reichweite und die Fähigkeit, lautlos zu schweben, unterstreichen ihre Überlegenheit gegenüber beispielsweise den von den Brüdern Wilbur und Orville Wright entwickelten und anfangs noch recht schwerfälligen Motorfliegern. Dennoch ist ihr Einsatz nicht unumstritten, da von den 101 Luftschiffen viele während ihrer etwa 5000 Einsätze abgeschossen werden. Gleichzeitig nimmt der weltweite Flugzeugbau eine immer wichtiger werdende Rolle ein. Konstrukteure wie Alexander Baumann und Claude Dornier treiben die Technologie, deren Einsatz im Krieg vielversprechenderer als der von Luftschiffen ist, voran.
Zeppelin wächst
Aber Ferdinand Graf von Zeppelin sollte zu den Gewinnern des immer größere Ausmaße annehmenden Ersten Weltkrieges gehören. Er gründet in den ersten Kriegsjahren eine Werft und eine Zahnradfabrik in Friedrichshafen, ein Gaswerk in Staaken bei Berlin und die Ballonhüllen-Gesellschaft in Berlin-Tempelhof. Am 29. Mai 1916 geht der inzwischen 77-Jährige zum letzten Mal an Bord eines Luftschiffes. Am 8. März des Folgejahres – also vor genau 100 Jahren – stirbt er an einer Lungenentzündung. Zu früh, um zu erleben, wie eng sein Name fortan mit dem Begriff Luftschiff verknüpft sein sollte.
Die Weiterentwicklung der Luftfahrt gerät in Deutschland durch die Restriktionen des Versailler Vertrages nach dem Ersten Weltkrieg zunächst ins Stocken. Die Idee der Luftschifffahrt überlebt aber auch diesen Rückschlag. Für die weitere Entwicklung im Sinne von Zeppelins zeichnet Hugo Eckener (1868?1954) verantwortlich. Der unter seiner Ägide erste für die USA gebaute Zeppelin, der „LZ 126“, fährt nach seiner Fertigstellung im Jahr 1924 in 81 Stunden von Friedrichshafen nach Lakehurst in der Nähe von New York. Der anschließend gebaute „LZ 127“ erhält dann endlich den Namen „Graf Zeppelin“ und steigt am 18. September 1928 erstmals in die Luft. Zwischen dem 8. und 29. August 1929 umrundete er als bisher einziges Luftschiff die Erde – und das, obwohl er in ein schweres Unwetter gerät.
Trotz der sich aufblähenden Weltwirtschaftskrise und der wachsenden Konkurrenz durch die Flugzeugentwicklung etabliert man im Jahr 1930 einen transatlantischen Liniendienst. „Graf Zeppelin“ befördert bis 1936 eine jährlich wachsende Fahrgastzahl zwischen Europa und Amerika.
Propagandawerkzeug
Natürlich sind die populären Luftschiffe auch für Propagandazwecke der inzwischen an die Macht gekommenen Nationalsozialisten von höchstem Interesse. So gründet der Reichsluftfahrtminister Hermann Göring 1935 die „Deutsche Zeppelin-Reederei“. Adolf Hitler erkennt den Wert der Technologie, ist aufgrund der Abstürze aber vorsichtig: Weil er verhindern will, ein Luftschiff mit seinem Namen in ein Unglück verwickelt zu sehen, erhält der „LZ 129“ – das mit 245 Metern Länge größte Luftschiff aller Zeiten – 1936 den Namen des zwei Jahre zuvor verstorbenen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Hitler scheint das Schicksal vorausgeahnt zu haben: Der LZ 129 geht am 6. Mai 1937 bei der Landung in Lakehurst in Flammen auf. Vermutlich ist eine elektrostatische Entladung der Grund für den Tod von 36 Personen. Ein jähes und trauriges Ende der Epoche der Luftschiffe für viele Jahrzehnte.
Was wurde aus dem Traum der Luftschifffahrt?
Die Anlagen der Zeppelinwerke dienen in den Kriegsjahren der Produktion von Rüstungsgütern. Flugzeuge, Panzer, Kraftfahrzeuge und Torpedos werden hier produziert. Schließlich fallen die Produktionsstätten, in denen viele Zwangsarbeiter eingesetzt werden, den Bombenangriffen auf Friedrichshafen zum Opfer. Wichtige Teile der Anlagen werden jedoch zuvor in Sicherheit gebracht. Die Alliierten liquidieren schließlich die Zeppelin-Werke.
„In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden immer wieder Luftschiffprojekte diskutiert, darunter auch viele utopische Ideen, die dann oft von der Zeppelin-Stiftung bezahlt werden sollten. Darum haben sich die Entscheider grundsätzlich dagegen gestemmt“, berichtet Wolfgang von Zeppelin. Der gelernte, inzwischen pensionierte Maschinenbauer ist zwar kein direkter Nachkomme von Ferdinand Graf von Zeppelin, hat sich aber der Ballonleidenschaft verschrieben und zu Beginn der 70er-Jahre den ersten modernen Heißluftballon mitentwickelt. Er schrieb mehrere Bücher über die Entstehungsgeschichte der Zeppeline und setzt sich für das Zeppelin-Museum sowie die Kinderdorf- Flugpost ein.
Auch dank Zeppelinfreunden wie ihm haben sich die Spuren von Ferdinand Graf von Zeppelin bis heute nicht verlaufen: Aus der 1950 gegründeten Metallwerk Friedrichshafen GmbH wird elf Jahre später die Zeppelin-Metallwerke GmbH, die wiederum 1995 in der Holding Zeppelin GmbH aufgeht. Auch die 1913 gegründete Zeppelin Wohlfahrt GmbH existiert noch heute und bietet unter anderem Mietwohnungen an. Dies sind so weit nachvollziehbare und wenig überraschende Entwicklungen.
Sehr wohl überrascht beim Studieren dieser Geschichte – die im Zeppelin-Museum ausführlich dargestellt ist – die Tatsache, dass sich am 18. September 1997 wieder ein Luftschiff über Friedrichshafen in die Luft erheben sollte: Der Zeppelin NT, gebaut von der vier Jahre zuvor gegründeten Zeppelin Luftschifftechnik GmbH. „Ich habe 1988 nochmals einen Versuch gemacht und habe den Bau eines kleinen Luftschiffes vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde dann in Form des Zeppelin NT realisiert“, erklärt Wolfgang von Zeppelin die Hintergründe. Flüge können hier seither gebucht werden – den Grafen von Zeppelin würde das sicher sehr freuen …
Text: Stefan Liebig, Abbildungen aus den Sammlungen von Jacky Stoltz und Horst Teichmann
Osteuropa 2021/2022 (E15)
ISBN: 978-3-95402-365-3
Preis: 52,00 €
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