Bobby Fischer – Einzelkämpfer im Kalten Krieg

Bobby Fischer – Einzelkämpfer im Kalten Krieg

Mit 29 Jahren strebt ein junger Mann die Übernahme des Schachthrons an. Wir befinden uns in den heiklen politischen Wirren des Kalten Krieges. Dass der Weltmeister ein Sowjet sein muss, steht für die größte und erfolgreichste Schachnation außer Frage. Seit dem Niederländer Max Euwe (Weltmeister von 1935?1937) kamen alle Weltmeister aus dem Sowjetimperium.
Doch nun schickte sich das frühere Wunderkind Bobby Fischer an, dem amtierenden Weltmeister Spasski den Titel zu entreißen. In den Kandidatenkämpfen, den Qualifika­tionszweikämpfen für das WM-Finale, deklassierte er seine namhaften Gegner: Mit seinen nie für möglich gehaltenen 6:0-Siegen gegen den Ex-Weltmeister Petrosjan und den schwedischen Weltklassespieler Bent Larsen sowie dem deutlichen 6,5:2,5 gegen Mark Taimonaw (ebenfalls ein Sowjet) raste er ins Finale.

Philaseiten Siegen 1970 Olympia Fischer

Bei der XIX. Schach-Olympiade, die einer Mannschaftsweltmeisterschaft entspricht, in Siegen behielt Boris Spasski im Duell mit dem späteren WM-Gegner Bobby Fischer die Oberhand (Beleg: Archiv Wilfried Lerchstein).

Diese Ergebnisse ließen die Russen erschaudern. Nicht nur im Schach, nein auch in hohen politischen Kreisen galt die klare Vorgabe, dass Boris Spasski gegen den Amerikaner nicht nur gewinnen sollte, sondern musste. Aufgrund seines Sieges bei der XIX. Schacholympiade in Siegen 1970 im direkten Duell, ließ der amtierende Weltmeister Spasski auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich als haushohen Favoriten betrachtet. Nicht zu vernachlässigen bei dieser Einschätzung war die Tatsache, dass Spasski eine große Entourage sowjetischer Weltklassespieler – unter ihnen drei Ex-Weltmeister! – in seinem Tross wusste. Diese sollten ihn während des maximal siebenwöchigen Matches auf der Atlantikinsel unterstützen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber Fischer, der als extremer Einzelgänger kämpfte und nur zu wenigen seiner Kollegen Kontakt pflegte.

Jahrhundertmatch

Bobby Fischer Schach Briefmarke Todestag DBZ 1 2018 yu-2758-2766

Jugoslawien ehrte die Weltmeister 1995 mit drei Blocks. Auf diesem sind Petrosjan, Spasski, Kasparow, Fischer und Karpow zu sehen (MiNr. 2758?2766).

Über das, was dann beim WM-Kampf 1972 in Reykjavik geschah, ist viel diskutiert worden: Fischer wollte aus Angst vor den Russen von US-Marineinfanteristen bewacht werden, was man ihm nicht gestattete. Er erhielt stattdessen eine isländische Leibwache. Den ersten Eklat verursachte der eigenwillige, ja starrsinnige Fischer dann bereits bei der Eröffnungsfeier, zu der er, weil angeblich zu müde, einfach nicht erschien. Die Auslosung der Farben für die erste der 24 Matchpartien fand also – entgegen dem Reglement und unter scharfem Protest der Russen – ohne ihn statt. Bei einem strengeren Schiedsgericht hätte dies drakonische Strafen zur Folge gehabt. Doch der Präsident des Weltschachverbandes FIDE Max Euwe wollte einen Skandal verhindern und akzeptierte Fischers unter Druck abgegebene Entschuldigung.

„Sein Leben war eine Art Chaos.“
Viswanathan Anand, indischer Ex-Weltmeister

Wäre Spasski abgereist, er hätte wohl den Titel behalten. Doch er wollte Fischer vernichten und das Match begann mit neuntägiger Verspätung. Der psychologische Krieg war aber bereits in vollem Gange. Der Matchauftakt ließ vermuten, dass der Herausforderer sich übernommen hatte mit seinem seltsamen Gebahren. Spasski gewann die erste Partie, wegen eines unvorsichtigerweise von Fischer angenommenen Bauernopfers und eines Fehlers im Endspiel. Dem 1:0 folgte das Unfassbare: Während Spasski am Brett auf die Eröffnung der zweiten Partie wartete, blieb Fischer dem Spielort fern. Letzterer erklärte das so: „Während der 1. Partie bemerkte ich, dass das Chester Fox Filmteam direkt über dem Schachbrett filmte! […] Ich protestierte aber das Filmen ging weiter! Dann drohte ich, zur nächsten Partie nicht anzutreten. Fox lachte nur …“

Bobby Fischer Schach Briefmarke Todestag DBZ 1 2018 is-0464

Islands Hauptstadt Reykjavik stand 1972 als Austragungsort der Schach-WM im Fokus (MiNr. 0464).

Der Punkt wurde Spasski zuerkannt. Es stand also bereits 2:0. Wie sollte es nun weitergehen? Es kursierten sogar Gerüchte, Fischer sei bereits abgereist. Dieser nutzte die Verwirrung um seinerseits das Verbot von Filmaufnahmen, andere Beleuchtung und ein neues Schachbrett durchzusetzen – beim bisherigen Brett missfielen Fischer die Kontraste zwischen dunklen und hellen Feldern! Der Kampf ging weiter. Spasski war keineswegs gefestigt durch die 2:0-Führung. Er schien vielmehr wie gelähmt und büßte seinen Vorsprung ein. Fischers Psychotricks hatten seinen Gegner offenbar gebrochen.

Bis heute wird diesbezüglich viel spekuliert. Am Ende hieß es 12,5:8,5 für Bobby Fischer. Er war der elfte Weltmeister der Schachgeschichte und hatte das Sowjetimperium geschlagen. Nie zuvor und auch später nie wieder spielte Schach in der Öffentlichkeit eine so große Rolle. Fischer trat 1975 nicht zur Titelverteidigung gegen Anatoli Karpow an. Die FIDE hatte seine Forderungen nicht erfüllt. Er verweigerte nicht nur dieses Match, sondern zog sich aus dem Schachgeschäft zurück.

„Er war sensationell in jeder Hinsicht.“
Svetozar Gligoric, jugoslawischer Weltklassespieler Mitte des letzten Jahrhunderts

Immer wieder gab es in den folgenden Jahren Gerüchte um seine Aufenthaltsorte oder gar über ein Comeback. Doch seine Fans mussten sich gedulden.

Sensation

Genau 20 Jahre nach dem legendären Match in Reykjavik geriet die Schachwelt in Aufruhr: Fischer und Spasski gaben bekannt, ein Revanchematch zu veranstalten. Der sportliche Wert der Veranstaltung war aufgrund des fortgeschrittenen Alters insbesondere Spasskis und der langen Wettkampfpause Fischers eher gering. Doch das Comeback Fischers elektrisierte die Schachwelt. Als „kleine“ Motivationshilfe für die Protagonisten diente der Preisfonds in Höhe von fünf Millionen US-Dollar – ein Vielfaches des WM-Preisfonds von 1972. Fischer siegte mit 10:5. Doch da er trotz eindeutiger Warnungen der US-Regierung nicht davon abzubringen war, den Wettkampf in Belgrad auszutragen und somit gegen ein Embargo wegen des Jugoslawienkrieges verstieß, konnte Fischer nie mehr in die USA zurückreisen ohne dort verhaftet zu werden.
Ein neuerliches Abtauchen Fischers nahm seinen Lauf. Er lebte nach dem Match in Budapest und später in Island. Topfunktionäre der FIDE konnten ihn nicht zu einer Rückkehr in die Turnierarena überreden. Fischer schrieb das Buch „Meine 60 denkwürdigen Partien“, das inzwischen fast zur Pflichtlektüre ambitionierter Spieler geworden ist. Außerdem entwickelte er die sogenannte Fischer-Uhr – eine elektronische Uhr, die seine inzwischen in Wettbewerbskreisen etablierte Fischer-Bedenkzeit, nach der es für jeden Zug Bonussekunden gibt, messen kann. Und nicht zuletzt entwickelte er sogar eine neue Schachdisziplin: Beim sogenannten Chess960 wird die Reihenfolge der acht Figuren der Spieler hinter den Bauern ausgelost – so können die Spieler nicht auf theoretisches Wissen zurückgreifen, sondern müssen ab dem ersten Zug eigenständig spielen.

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Fischer Spasski Belgrad 1992 Revanche Match Schach

1992 trafen sich Fischer und Spasski zum Revanchematch inmitten des jugoslawischen Krieges in Belgrad (MiNr. 2559 und 2560).

Fischer polarisiert

Es gibt unzählige Prominente, die tagein, tagaus Schlagzeilen produzieren, die Menschenmassen interessieren und elektrisieren. Unter ihnen finden sich nicht wenige, die trotz des öffentlichen Interesses ihr Leben lang alleine zu sein scheinen. Zu diesen, nach ihrem wirklichen Platz im Leben Suchenden dürfte man auch den am 17. Januar 2008 verstorbenen Robert James Fischer – besser bekannt als Bobby Fischer – zählen. Unter Schachspielern gibt es nicht wenige, die Bobby Fischer auch heute noch zum besten Spieler aller Zeiten erklären – trotz früherer Koryphäen wie Lasker, Aljechin oder Capablanca und auch trotz seiner über die Schachszene hinaus bekannten Nachfolger wie Karpow, Kasparow oder Carlsen. Auch wenn sich hier die Geister scheiden, ist unstrittig, dass Fischer auf seinem Zenit den damaligen Spielern weit voraus war. Den einzigen, der es mit ihm noch aufnehmen konnte, hat er mit durchaus zweifelhaften Psychotricks wohl so stark eingeschüchtert, dass dieser nicht standhalten konnte.

Wichtige Lebensstationen Bobby Fischers

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Bobby Fischer in jüngeren Jahren (MiNr. 5026).

9.3.1943 Robert James Fischer wird in Chicago geboren und wächst mit seiner Schwester Joan bei seiner Mutter auf. Sie hatte sich vom juristischen Vater, dem deutschen Hans-Gerhardt Fischer getrennt. Eventuell ist aber der Ungar Paul Neményi der biologische Vater.
1949 erlernt Bobby das Schachspiel.
1955 nahm Fischer erstmals an einer US-Jugendmeisterschaft teil.
1957 verleiht die Weltschachorganisation FIDE ihm den Titel des Internationalen Meisters.
1959 nimmt er erstmals am Qualifikationsturnier zur Weltmeisterschaft (Kandidatenwettkämpfe) teil und erhält den Titel Großmeister.
1962 verpasst Fischer erneut die Qualifikation für das WM-Finale und beschuldigt sowjetische Spieler, ihre Ergebnisse manipuliert zu haben.
1967 scheitert Fischer nach Streitigkeiten mit den Organisatoren erneut am Ziel sich fürs WM-Finale zu qualifizieren.

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Fischer wurde auf Island bei der Kirche Laugardælir, nahe der Stadt Selfoss, beerdigt.

1970 gewinnt Fischer das Qualifikationsturnier zur WM und setzt sich in den Zweikämpfen gegen Ex-Weltmeister Petrosjan, den Schweden Larsen und Taimanow durch.
1972 gewinnt den Weltmeistertitel durch einen Sieg gegen Spasski.
1975 tritt Fischer nicht zum Finale gegen Karpow an. Er verliert den Titel.
1992 Fischer tritt im Revanchekampf gegen Spasski an und besiegt ihn.
2008 Fischer stirbt am 17. Januar im isländischen Exil.

Text: Stefan Liebig / Bildmaterial: Schwaneberger Verlag; wikimedia.com/ted cross

Quellen:
Garri Kasparow: Meine großen Vorkämpfer, Band 6
Schach Magazin 64, Heft 2/2008
Wikipedia

 

 


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Authored by: Stefan Liebig

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