150. Geburtstag eines Schachgenies

150. Geburtstag eines Schachgenies

Die Namen Kasparow, Fischer, Aljechin, Capablanca lassen die Herzen von Schachfans höher schlagen und gehören stets zu den ersten Kandidaten, wenn nach dem besten Schachspieler aller Zeiten gefragt wird. Nicht jeder hat bei der Frage Dr. Emanuel Lasker auf seiner Liste, obwohl dieser den Weltmeistertitel unfassbare 27 Jahre lang verteidigte, nämlich von 1894 bis 1921. Er ist bis heute der einzige deutsche Schachweltmeister und auch der einzige Schachspieler, dessen Konterfei auf einer deutschen Briefmarke?(DDR, MiNr. 1387) zu sehen ist.

Lasker Block Jugoslawien Schach Deutsche Briefmarken Zeitung Geburtstag Weltmeister

Oben: Zweitlängster Titelträger war der Russe Alexander Aljechin mit 17 Jahren – aber mit Unterbrechung; zu sehen unten rechts auf dem jugoslawischen Block zu Ehren der ersten vier Schachweltmeister (MiNr. 2698-2705, Lasker (o.r.), Wilhelm Steinitz (o.l.), Jose Raul Capablanca (u.l.)). Unten links: Die bislang einzige deutsche Schachmarke, auf der ein Gesicht eines Spielers abgebildet ist, erschien zum 100. Geburtstag Laskers in der DDR (MiNr. 1387). Unten rechts: Der Norweger Magnus Carlsen ist der aktuelle Schachweltmeister. Im November verteidigte er seinen Titel bereits zum dritten Mal. Knapp setzte er sich im Stickkampf gegen den Amerikaner Fabiano Caruana durch (MiNr. 3385). nige-3385 Carlsen Schach Briefmarke Weltmeister

27 Jahre Weltmeister – Rekord für Ewigkeit?

Der im November zum vierten Mal Weltmeister gewordene Norweger Magnus Carlsen wird diesen Rekord vermutlich nicht übertrumpfen. Vielleicht überflügelt er Lasker aber in der Anzahl der Titel. Denn der brachte es in seiner beeindruckend langen Regentschaft über die Schachwelt auf „nur“ sechs Titel, da es damals noch keinen festen Turnus für die Titelverteidigung gab.
Analysten versuchen auch zu Laskers 150. Geburtstag, der am 24. Dezember 2018 ansteht, noch zu ergründen, was seine Stärke ausmachte. Der etablierten Meinung, er habe in erster Linie psychologische Kriegsführung angewendet und seine Gegner in für sie unangenehme Stellungen geführt, treten neuere Meinungen entgegen, die ihn als tiefsinnigen Strategen und Begründer einer hypermodernen Schachschule sehen. Eine Diskussion, die in Schachfachkreisen geführt werden sollte. Hier soll es um sein Vermächtnis für die Schachwelt und darüber hinaus gehen.

Spät – nicht zu spät

Lasker kam am 24. Dezember 1868 im westpommerschen Barlinek – im Dreieck Berlin, Stettin, Posen gelegen – zur Welt. Erst mit zwölf Jahren erlernte er das königliche Spiel. Nur 14 Jahre später war er der beste Spieler auf der Welt. Wie konnte es so schnell gelingen, zum Schachgenie zu werden? Lasker, nach dem eine bis heute aktuelle Variante im Abgelehnten Damengambit benannt wurde, zockte in Berliner Teesalons und analysierte Partien der Meister Morphy, Andersen, Staunton etc. Erst 1889 spielte er sein erstes Turnier: Er gewann den Deutschen Schachkongress in Breslau! Im selben Jahr schlug er in einem Zweikampf Curt von Bardeleben, einen der damals besten deutschen Spieler. Lasker legte weitere furiose Siege nach und ging schließlich nach Amerika.
Denn dort lebte der amtierende Weltmeister Wilhelm Steinitz, den er baldestmöglich herausfordern wollte. Ende 1893 wagte Lasker den entscheidenden Schritt und forderte den viermaligen Weltmeister heraus. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm nicht: „Ich bin eitel genug zu glauben, dass der Wettkampf der größte sein wird, der je gespielt wurde.“

Steinitz Lasker Postkarte Archiv Negele Deutsche Briefmarken Zeitung Januar 2019 Schach

4500 Dollar betrug der Preisfonds für den Weltmeistertitel 1894 – der Sieger erhielt die gesamte Summe, die zuvor von den beiden Kontrahenten bei wettfreudigen Kapitalgebern aufgetrieben werden musste. 3375 Dollar erhielten die, die auf den Sieger gewettet hatten, zurück, 1125 erhielt der neue Weltmeister, der Unterlegene ging leer aus. Ein Postkarte zum WM-Wettkampf gegen Steinitz 1894 (Abbildung: Archiv Michael Negele). 

König auf dem Thron

Dieses Selbstvertrauen zahlte sich aus: Im direkten Zweikampf besiegte er den ersten offiziellen Schachweltmeister, den Österreicher Wilhelm Stei­-nitz, mit 10:5 bei vier Remisen. Diesen hart erkämpften Titel verteidigte Lasker 1896 gegen den entthronten Steinitz, 1907 gegen den Amerikaner Frank Marshall, 1908 gegen seinen Landsmann Siegbert Tarrasch, 1910 zweimal gegen Carl Schlechter (Österreich-Ungarn) sowie Dawid Janowski (Kongresspolen). Von 88 WM-Partien gewann er 45, spielte 32 mal Remis und verlor nur elf.
Die Unregelmäßigkeit der WM-Kämpfe erklärt sich mit einem wenig genutzten Herausforderungssystem, das stets finanziellen Zwängen unterlag. Nach seiner doppelten Titelverteidigung 1910 sollte es aber elf Jahre bis zum nächsten Zweikampf dauern, obwohl sein neuer Kontrahent José Raúl Capablanca aus Kuba bereits 1911 einen Kampf gefordert hatte, man sich aber nicht auf Konditionen einigen konnte.

Titelverlust

Ob Lasker in die Jahre gekommen war oder ihm das kubanische Klima zu sehr zusetzte, ist unklar. Fest steht: Er hatte dem legendären ,Capa‘ nichts entgegenzusetzen und gab das auf sechs Siegpartien angesetzte Duell nach der vierten Niederlage auf. Die imposante 27-jährige Weltmeister-Ära war beendet. Eine ähnlich Dominanz erreichte bislang niemand.
Lasker nahm aber noch bis zu seinem 68. Lebensjahr an Turnieren teil. Meistens landete er auf vorderen Plätzen – beeindruckend, wenngleich heutige Profis gerade in jungen Jahren sehr viel Turniere mehr spielen.

Auf der Flucht

Der zunehmende Antisemitismus vertrieb Lasker und seine Familie aus Deutschland. Nach einjährigem Aufenthalt in den Niederlanden zog Lasker mit seiner Frau 1934 nach London. Neben dem Turnierschach, gab der Ex-Weltmeister Simultanvorstellungen und schrieb für Schachspalten in Zeitungen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. 1935 ernannte ihn die Akademie der Wissenschaften der UdSSR zum ständigen Mitglied. Lasker arbeitete in Moskau fortan als Trainer.

Lasker mit Frau Archiv Negele Deutsche Briefmarken Zeitung Januar 2019 Schach

Lasker zu Hause mit seiner Frau. Vermutlich knobelte Lasker hier auch an neuen Spielen und an der Spieltheorie – mit beidem machte er sich außerhalb des Schachsports einen Namen. Er beschäftigte sich unter anderem mit Go, Dame, Mühle und Poker. Zudem forschte Lasker auch als Mathematiker und Philosoph. Er promovierte 1900 in Erlangen über unendliche Reihen (Abbildung: Archiv Michael Negele).

Wegen steigender Gewalt ging er 1937 ins amerikanische Exil. 1938 verlor er die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Laskers verarmten. 1940 erkrankte Lasker. Er starb am 11. Januar 1941 im Mount Sinai Hospital (New York). Seit 6. Mai 2008 ist Emanuel Lasker als einziger Schachspieler Mitglied in der Hall of Fame des deutschen Sports.

Lasker-Gesellschaft

Unter Federführung von Paul Werner gründete sich 2001 die Emanuel-Lasker-Gesellschaft (ELG) als Bindeglied zwischen Schachsport und Schachkultur sowie Bildung. Sie möchte das schachliche und kulturelle Erbe des bis heute einzigen deutschen Weltmeisters bewahren und kommende Generationen für die Schachkultur begeistern.

Lasker Ausstellung Archiv Negele Deutsche Briefmarken Zeitung Januar 2019 Schach

Eine Lasker-Ausstellung im Jahr 2012 – ausgerichtet von der Emanuel-Lasker-Gesellschaft während der Veranstaltung „Trans-Europa-Express“ (Foto: Archiv Negele).

Lasker-Jahr

Zu Ehren Dr. Emanuel Laskers erklärte der Deutsche Schachbund 2018 zum Lasker-Jahr mit vielen Lasker-Aktivitäten wie Lasker-Tage, Turniere und Veranstaltungen, von denen einige auch im 2005 gegründeten Lasker-Museum in Berlin ausgerichtet wurden. Ehre, wem Ehre gebührt …

Text: Stefan Liebig

Bildunterschrift Titelbild: Diese Postkarte erschien zu Ehren Laskers. Neben seiner Karikatur findet sich eine Glanzpartie seines WM-Kampfes gegen Tarrasch: Mit neuen positionellen Ideen erreichte Lasker eine Stellung, die er in grandiosem Opferstil für sich entschied (Quelle: www.ansichtskartenversand.com).

Quellen und Lesetipps:

Karl – Das kulturelle Schachmagazin, Sonderheft der Emanuel Lasker Gesellschaft zum Lasker Jahr 2018, Berlin 2018.
Albin Pötzsch: Emanuel Lasker – die Schachkarriere, auf der DVD: Emanuel Lasker – Master Class Vol. 5, ChessBase, Hamburg 2015.
Garri Kasparow: Meine großen Vorkämpfer, Band 1, Zürich 2006.
Thomas Glavinic: Carl Haffners Liebe zum Unentschieden, München 2006.


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Authored by: Stefan Liebig

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